28. März 2024

7 Jahre Polizeispitzel in englischer Umweltschutzszene

 

Im Rahmen des Tierschutzprozesses wurde uns erst so richtig bewusst, wie intensiv die Polizei mit ihren Spitzeln die Aktivismusszene unterwandert. Es hat zumindest 2 Spitzel allein im VGT gegeben, den einen 19 Monate, den anderen 2 Mal (1999 und 2007) jeweils ein gutes halbes Jahr lang. Da wir ohne eigene Privatdetektive nicht einmal von diesen Spitzeln irgendetwas erfahren hätten, bleibt offen, wie viele Polizeispitzel es wirklich gegeben hat, und ob es nicht vielleicht weiterhin Spitzel unter uns gibt. Ende Jänner 2012 enthüllte der Guardian in England, dass dort zumindest 2 Polizeispitzel je ein Kind mit Aktivistinnen – unter falscher Identität – gezeugt haben, die sie bespitzelt hatten, siehe: http://www.spiegel.de/politik/ausland/grossbritannien-spitzel-zeugten-kinder-mit-bespitzelten-a-810523.html

Einer dieser beiden aufgedeckten Polizeispitzel heißt mit richtigem Namen Bob Lambert und wird seither von AktivistInnen bei seinen öffentlichen Auftritten konfrontiert: http://www.indymedia.org.uk/en/2012/02/492284.html

In einem sehr beeindruckenden und empfehlenswerten 40-minütigen Dokumentarfilm von Channel 4 erzählt der ehemalige undercover Polizeispitzel Mark Kennedy alias Mark Stone von seinem Doppelleben. Kennedy schloß, genauso wie „Danielle Durand“ in Österreich, nicht nur die Polizeischule, sondern auch eine extra Spitzelausbildung ab. Dann bekam er eine neue Identität als Mark Stone und infiltrierte eine Umweltschutzgruppe. 7 Jahre lang lebte er in dieser Gruppe und teilte der Polizei jede geplante Aktion im Vorfeld mit, sodass diese alle Aktionen verhindern konnte. Dabei ging es nicht um Straftaten, sondern um klassische Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie Besetzungen von kalorischen Kraftwerken oder Blockaden.

Das Filmdokument ist in vieler Hinsicht erschütternd. Erstens entsetzt das Ausmaß, mit dem die Polizei bereit ist, legitimen politischen Protest zu behindern. Mark Kennedy war 7 Jahre lang in der Szene und hat nie auch nur eine einzige Straftat beobachtet oder verhindert. Im Film kommentiert das der englische Umweltminister so, dass es offenbar einen großen Druck der Industrie auf die Polizei gibt, einen wirtschaftsfeindlichen Aktivismus zu unterbinden. Dasselbe haben wir in Österreich erlebt!

Zweitens erschüttert mich die Brutalität, mit der die Polizei gegen die UmweltschutzaktivistInnen vorgeht. Mark Kennedy selbst – der Polizeispitzel! – wird mehrmals von Polizisten brutal zusammengeschlagen, einmal mit mehreren gebrochenen Knochen und einer verschobenen Wirbelsäule. Er wird auch immer wieder festgenommen und sitzt in Polizeigewahrsam. Anklagen wegen „Verschwörung zur Besitzstörung“ („conspiracy to commit aggravated trespass“) entgeht er nur, weil er ein Polizist ist. So fällt auch schließlich auf, dass er kein normaler Aktivist sein kann. Eine Aktivistin, mit der er 4 Jahre lang in einer sexuellen Beziehung zusammenlebt – er hatte in seinem anderen Leben als Polizist zu Hause eine Ehefrau mit Kindern, die er alle paar Monate zu Gesicht bekommt – findet seinen echten Pass.

Und drittens erschüttert das Ausmaß an Spitzeltätigkeit, das wir heute wie selbstverständlich überall im politischen Aktivismus erleben. Die Ämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung verfolgen jede kritische Stimme, observieren und bespitzeln, wie in einer Diktatur, ohne auch nur im Geringsten an der Legitimität derartiger Operationen zu zweifeln. Spitzel Mark Kennedy sagt selbst im Film, dass er von anderen Polizeispitzeln observiert wurde, die nicht wussten, dass er ein Spitzel war. In einem anderen Dokumentarfilm über Polizeispitzel in England ist die Rede von mehr als 100 Spitzeln, die insgesamt in den letzten Jahrzehnten allein in die Tierschutzszene dort eingeschleust waren.

Dieses Spitzelunwesen, gepaart mit dem erhöhten Interesse der Polizei an kritischem Aktivismus, ist eine sehr ernsthafte Gefahr für die Demokratie. So wird Zivilcourage verhindert, die Mitbestimmung der BürgerInnen gefährdet und jeder Fortschritt unmöglich gemacht.

Der Film ist unbedingt sehenswert, ein einmaliges Dokument:

http://www.youtube.com/watch?v=CMVlZd_nsrQ

3 Gedanken zu “7 Jahre Polizeispitzel in englischer Umweltschutzszene

  1. Hab den Film gestern Nacht noch geschaut. Hat mich sehr berührt. Sowohl aufgrund der Gewalt, mit der die Polizei gegen die AktivistInnen vorgeht, als auch aufgrund der menschlichen Schicksale, die dahinter stehen – natürlich nicht zuletzt das des Polizisten. Ist einfach sehr schwer nachzuvollziehen für mich, wie jemand so ein Doppelleben führen kann. Der muss jetzt seelisch ziemlich kaputt sein. Die Frau, mit der er zusammen war, natürlich auch.

  2. Naja, so ganz resistent war er offenbar eh nicht. Zwar hat er, als guter Polizist treu seinem Auftrag, bis zuletzt – auch nachdem er von seinen KollegInnen schwerst verprügelt worden war, weil sie ihn für einen Umweltschützer hielten – die Aktionen der AktivistInnen verraten. Aber nachdem er von seinen Chefs abgezogen worden war und in der Polizei keinen Job mehr bekommen hat, bereut er heute sehr, so gehandelt zu haben. Sagt er jedenfalls im Film. Und er meint, ihm geht die Frau, mit der er 4 Jahre zusammen war, sehr ab, und es fehlen ihm auch die AktivistInnen. Er würde ihr Anliegen verstehen.

    Es fällt schwer, mit ihm Mitleid zu bekommen. Aber irgendwie hat man es trotzdem.

  3. Ich frage mich allerdings schon, wie resistent man gegen das Ziel die Welt zum Positiven zu verändern sein muss, wenn man sieben (!) Jahre lang unter UmweltaktivistInnen lebt und einem dann immer noch kein Licht aufgeht!?!
    Bei Danielle Durand frage ich mich das auch. Nach monatelanger Konfrontation mit grausamen Fakten und Bildern und aktiver Teilnahme an Aktionen, wie kann man da noch gegen Tierschutz vorgehen??

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