23. April 2024

Tierschutzprozess-Nötigung: das Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft ist auf unserer Seite!

Die Anklage im Tierschutzprozess 2.0 basiert auf der Idee, ursprünglich von Staatsanwalt Wolfgang Handler als letzter Ausweg eingeführt, nach dem Freispruch in 1. Instanz doch noch Verurteilungen zu erreichen, dass legale Pelzkampagnen eine schwere Nötigung darstellen würden. Der juristische Hintergrund dazu ist folgender:

Angeklagt ist schwere Nötigung § 106 (1) StGB: Wer eine Nötigung begeht, indem er mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz droht und die genötigte Person durch diese Mittel längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt, ist mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten – 5 Jahren zu bestrafen.

Der Begriff Nötigung wird in § 105 (1) StGB definiert: [Nötigung begeht,] wer einen anderen durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung nötigt.

Und die gefährliche Drohung definiert § 74 (1) 5. StGB: [Gefährliche Drohung ist] eine Bedrohung am Vermögen, die geeignet ist, dem Bedrohten begründete Besorgnisse einzuflößen.

Das sei auf unsere legalen Kampagnen gegen Pelz anwendbar:

·         Die „Bedrohung am Vermögen“ ist die (potenzielle) Umsatzeinbuße durch KundInnen, die von uns über das Leid der Pelztiere und über den Umstand, dass das jeweilige Modehaus Tierpelz verkauft, informiert wurden und deshalb dort nicht mehr einkaufen wollen.

·         Das würde bei der Firma „begründete Besorgnisse“ erregen. So wird die Ankündigung der Kampagne oder das Kampagnenverhalten zur „gefährlichen Drohung“.

·         Da von uns ein Ausstieg aus dem Pelzhandel gefordert wird, also eine Unterlassung, sei das eine Nötigung.

·         Zur schweren Nötigung wird diese Nötigung nun durch die fragwürdige Behauptung, die Modehäuser seien durch unsere Kampagne in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht und deren Geschäftsleitung dadurch über längere Zeit hinweg in einen qualvollen Zustand versetzt.

Doch eine noch so schwere Nötigung ist nach § 105 (2) StGB nicht rechtswidrig, wenn die Anwendung der Drohung als Mittel zum angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet. Das Wiener Oberlandesgericht erklärt das genauer: Gegen die guten Sitten verstößt, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, das ist aller billig und gerecht Denkenden, widerspricht. Und dann stellt der OLG-Senat eine Hypothese auf:

·         Das Informieren von KundInnen und das Anprangern von Firmen, um einen Pelzausstieg zu erreichen, widerspreche mehrheitlich dem Rechtsgefühl

·         Der Begriff Tierschutz umfasse nur den Ausstieg aus dem Handel mit Pelzen von Tieren, die nicht artgerecht gehalten wurden, und nicht aller Tiere

·         Legale Kampagnen, um aus ethischen Gründen (Tierschutz, Umweltschutz oder Menschenrechten) Einfluss auf das Warensortiment von Firmen zu nehmen, würden ebenfalls mehrheitlich dem Rechtsgefühl widersprechen

Auf der Basis dieser Hypothese solle die 1. Instanz im Tierschutzprozess in einem zweiten Rechtsgang mit neuem Richter die Anklage prüfen.

Die IFES-Studie

Wir haben nun diese Hypothese empirisch wissenschaftlich geprüft, statt sie stillschweigend hinzunehmen. Offenbar schätzt man in manchen Kreisen die Einstellung der Menschen zu Tierschutz und zu legalen Kampagnen der Zivilgesellschaft total realitätsfern ein. Unsere Erfahrung ist völlig konträr zu der Hypothese des OLG und so beauftragten wir das Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) damit, eine repräsentative Meinungsumfrage durchzuführen. Das Ergebnis bestätigt unsere Vermutung, siehe  https://vgt.at/presse/news/2013/news20130822cb.php:

·         68% der Menschen in Österreich wollen ein Verbot des Handels mit Tierpelzen (sogar 75% der Personen mit abgeschlossener Matura)

·         84% sehen einen kompletten Pelzausstieg als Teil von Tierschutz an

·         87% halten eine Aufforderung von Tierschutzvereinen an Modehäuser, keinen Pelz mehr zu verkaufen, nicht für sittenwidrig

·         78% meinen, es ist nicht sittenwidrig, wenn Tierschutzvereine Modehäuser öffentlich anprangern, solange diese noch Pelz verkaufen (85% der Personen mit Matura)

·         72% empfinden es nicht als sittenwidrig, Modehäuser durch Informieren ihrer KundInnen zum Pelzausstieg zu nötigen (76% mit Matura)

Zunächst ist dieser Umfrage zu entnehmen, dass mehr als 2 Drittel aller Menschen in Österreich unsere Forderung nach einem Ende des Pelzhandels teilen. Unsere Ansicht diesbezüglich ist also keine kleine Minderheitenmeinung, sondern längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sozial gesehen ist die Forderung nach einem Totalausstieg also nicht als radikal oder übertrieben zu bezeichnen. Es geht hier um einen Konflikt, der von der großen Mehrheit der Menschen mitgetragen wird.

Zweitens sind fast alle Menschen der Ansicht, dass ein Komplettausstieg aus dem Pelzhandel ein zentraler Teil dessen ist, was man unter Tierschutz versteht. Die OLG-Richterinnen liegen also falsch, wenn sie Tierschutz lediglich auf die Forderung nach artgerechter Pelztierhaltung reduzieren. Für Pelz als reinem Luxusprodukt Tiere zu halten und zu töten ist tierschutzwidrig. Da aber Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung verankert ist, ist die politische Kampagnenarbeit für ein Ende des Pelzhandels selbst ein Staatsziel.

Und drittens sind große Mehrheiten von über ¾ aller Menschen in Österreich der Ansicht, dass genau jenes Vorgehen, das im neuen Tierschutzprozess angeklagt ist, den guten Sitten entspricht. Es ist nicht sittenwidrig, Modehäuser per Email aufzufordern, aus dem Pelzhandel auszusteigen. Es ist nicht sittenwidrig, diese Modehäuser, sollten sie am Pelzhandel festhalten, dafür in der Öffentlichkeit anzuprangern. Und es ist nicht sittenwidrig, durch das Informieren der KundInnen dieser Modehäuser für Umsatzeinbußen zu sorgen, und dadurch einen Druck auszuüben, um einen Ausstieg aus dem Pelzhandel zu erreichen.

Das Verfahren wegen Nötigung muss eingestellt werden!

Das ist das Rechtsgefühl der großen Mehrheit der Menschen in Österreich. Ist es dadurch auch das Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft? Die Rechtsgemeinschaft wird wohl von einer derart großen Mehrheit der Menschen in Österreich abgedeckt. Betrachtet man nur jene Menschen, die eine abgeschlossene Matura vorweisen können, dann ist diese Mehrheit sogar noch deutlich größer. Wie man es dreht und wendet, dieses Ergebnis beweist empirisch wissenschaftlich, dass in Sachen Pelzkampagnen § 105 (2) StGB erfüllt ist und keine rechtswidrige Nötigung oder gar schwere Nötigung vorliegt.

Es geht hier nicht um die Kritik an einem Urteil, das durch das Recht auf die freie Beweiswürdigung der RichterInnen abgesichert ist. Es geht hier nicht um Beweiswürdigung. Es geht hier um ein wissenschaftliches Faktum, das nicht von irgendeiner subjektiven Würdigung abhängt. Es geht um ein Faktum, das diametral der hypothetischen Annahme des OLG-Richtersenats widerspricht. Es geht hier um ein Faktum, das das Urteil des OLG-Senats obsolet macht. In Sachen Rechtswidrigkeit einer Nötigung ist ausschließlich das Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft ausschlaggebend. Diese Rechtsgemeinschaft hat jetzt als Souverän gesprochen. Also muss das Verfahren wegen schwerer Nötigung im Tierschutzprozess nun eingestellt werden!

Wir werden sowohl einen Einstellungsantrag einbringen, als auch eine Anregung zur Nichtigkeitsbeschwerde zum Obersten Gerichtshof an die Generalprokurator überstellen.

2 Gedanken zu “Tierschutzprozess-Nötigung: das Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft ist auf unserer Seite!

  1. Natürlich ist die Aufforderung zur Einstellung des Pelzhandels nicht sittenwidrig! Es ist ja allgemein bekannt, dass Pelztierzucht etwas vom Grausamsten ist, was man sich vorstellen kann. Tiere ein Leben lang in kleinsten Käfigen zu halten, Umbringen mit Stromschlag aus der Autobatterie usw…
    Natürlich ist es weder sittenwidrig noch Nötigung, Leute aufzufordern, mit diesen Grausamkeiten aufzuhören, ansonsten man darauf öffentlich aufmerksam mache.
    Wenn das verboten wird, haben wir wieder 1933.
    Soweit lassen wir es nicht mehr kommen!

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