28. März 2024

Der Anthropozentrismus der Sozialwissenschaften

Als Naturwissenschaftler war ich kürzlich auf meiner ersten sozialwissenschaftlichen Konferenz. Mein spontaner  Eindruck: ein esoterisches und kein wissenschaftliches Treffen. Das deshalb, weil überhaupt keine empirischen Fakten präsentiert wurden, keine Statistik, wie ich es mir erwartet hätte, und keine in irgendeiner Form belegbaren oder überprüfbaren Aussagen. Dazu gab es ständig Seitenhiebe auf die Naturwissenschaften, als wäre das ein Erkennungsmerkmal „dazu“ zu gehören. Da wurde gesagt: „Das Schönheitsideal in der Mode ändert sich wie die Paradigmen in der Naturwissenschaft, abhängig davon, wer Macht und Einfluss hat.“ Oder: „Der Unterschied zwischen Pseudowissenschaft und Naturwissenschaft ist schwer zu definieren, vielleicht gibt es keinen.“ Und: „Die Mathematik wurde auf die Natur gepresst, um diese dem menschlichen Willen zu unterwerfen.“

In weiterer Folge wurde mir langsam klar, warum. Diese SozialwissenschaftlerInnen lehnten empirische Belege grundsätzlich ab, weil in ihren Augen jeder solche Beleg letztlich nur ideologisch festgelegt sei. Es gebe werde eine Wahrheit, noch eine Wirklichkeit, sondern nur menschliche Intuition und Ideologie. Die Menschen würden zusammen in irgendeiner Form ihr Weltbild und damit ihre Wirklichkeit konstruieren, die Naturwissenschaft würde dann nur dazu dienen, diese so bereits bestimmte Wirklichkeit zu belegen. Es gebe keine naturwissenschaftliche Erkenntnis ohne ideologischen Überbau, der diese Erkenntnis bereits im Vorfeld festlegt. Überspitzt formuliert bräuchte sich die Menschheit nur über eine neue Wirklichkeit zu einigen, und schon würde diese von der Naturwissenschaft bestätigt. Entsprechend sind Naturwissenschaft und Empirie natürlich völlig irrelevant. Das Primat hätten dann die Sozialwissenschaften.

Die Naturwissenschaft hat eine diametral entgegengesetzte Metaphysik. Sie geht von der Annahme aus, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt und dass man sich an diese mit den Methoden des kritischen Rationalismus (Popper) annähern kann. Ein völlig nicht-anthropozentrisches Weltbild. Die Naturwissenschaft kann zwar in eine ideologische Falle tappen, d.h. es werden Ergebnisse falsch interpretiert, weil man eine gewisse Erwartungshaltung hatte, aber um das zu verhindern, sollte alles mehrfach von verschiedenen Forschungsgruppen überprüft und repliziert werden. Eine Statistik zählt erst, wenn sie nach mathematischen Methoden signifikant ist. Letztlich hat die Naturwissenschaft den, wie ich meine berechtigten Anspruch, ideologiefrei zu sein. Das gilt umso mehr, je mehr wir uns der exakten Naturwissenschaft annähern: ob im Dritten Reich, im kommunistischen Russland oder in den kapitalistischen USA, die physikalischen Forschungsergebnisse waren dieselben.

Von diesem Standpunkt aus sind Menschen nur eine kleine, erst seit sehr kurzem existierende Tierart auf einem von 40 Milliarden erdähnlichen Planeten in einer von Milliarden Galaxien. Deren Ideologie ist durch die sehr beschränkte Fähigkeit dieses Wesens bestimmt, die Welt um sich wahrzunehmen. Ideologie und Menschheit sind entsprechend völlig irrelevant, wenn man die Welt im Ganzen betrachtet. Größer könnte der Kontrast zu den Sozialwissenschaften nicht mehr sein!

Diese sind ja von vornherein ideologisch bestimmt. Man täuscht gar nicht vor, ideologiefrei zu sein, weil es ja angeblich ohne Ideologie gar nicht geht. Und das muss ich auch an critical animal studies kritisieren, selbst wenn sie sich gegen Speziesismus engagieren. Man kann nicht vorher Ideologie und ethische Werte festlegen und danach in dieses Korsett eine Wissenschaft zwängen. Die Frage des Seins sollte unabhängig von der Frage des Sollens behandelt und geklärt werden. Das betrifft natürlich alle sozialwissenschaftlichen Bereiche, wie auch Gender Studies usw.

Erstaunlich ist dabei, dass man in den Sozialwissenschaften offenbar nicht in der Lage ist, das eigene anthropozentrische Denken zu hinterfragen. Vielmehr redet man sich darauf hinaus, dass es grundsätzlich gar nicht anders ginge. Warum aber gerade die willkürliche Grenze „Mensch“ relevant sein soll, und wie sie definiert ist, bleibt man schuldig zu erklären.

Beim Abendessen am Schluss der Konferenz saß ich zufällig mit 4 Schwedinnen am Tisch, die, wie sich herausstellte, Naturwissenschaftlerinnen waren. Und sie teilten meine Kritik und hatten dieselben Eindrücke. Ob Mann oder Frau, Aktivist oder Akademikerin, Österreicher oder Schwedin – diese Unterschiede verblassen im Vergleich zum Unterschied zwischen NaturwissenschaftlerIn und SozialwissenschaftlerIn. Das jeweilige Weltbild ist diametral entgegen gesetzt!

7 Gedanken zu “Der Anthropozentrismus der Sozialwissenschaften

  1. Was hier vor sich geht, bezeichnet man als Subversion. Unsere Gesellschaft wurde unterwandert und befindet sich längst im derbsten Zersetzungsprozess. 20-30 Jahre kalkuliert man dafür.
    Die Ironie: Vermeintliche “Täter” trifft es doppelt.
    Ihrer, der SOZen & Co., entledigt man sich, sobald man sie nicht mehr benötigt. Oder es geht etwas schief, dann wird der Mob sie richten und keiner merkt, was wirklich lief.

    Während man heute noch nicht einmal das Problem ansprechen kann, hätte man längst die Verantwortlichen stellen und sich der Lösung annehmen müssen, um nicht ganz so viel Schaden zu nehmen.
    Nun haben wir jedoch erneut den Salat: Kastriert, vergiftet, Natur ausgebeutet, Kultur zivilisiert.

    in 1.000 Jahren werden sie dann wieder rätseln, wieso großes Sterben einsetzte und unsere heiligen Schriften werden dieses mal sicher noch deutlicher ins materialistische abdriften. Der Feind wird nämlich keineswegs schlauer. Wir jedoch ganz offenbar auch nicht…

    In diesem Sinne,
    Alles Gute, bei was auch immer…

  2. @Susanne Veronika,
    das sind die Ergebnisse der Neurobiologie, die u.a. mit CT dem Hirn bei der Arbeit zusieht. Gib mal bei Google den Begriff “Reptilienhirn” ein – da kommt dann nichts über die Hirne von Reptilien, sondern ne Menge über das Reptilienhirn, das auch jedes andere Wirbeltier (incl. Menschen natürlich) hat und das für Angst, Furcht, Lust, Trieb, Aggression und pervertierte Formen davon, zuständig ist, das limbische System.
    Natürlich handelt der Schlachter nicht aus Angst (es sei denn vorm Verhungern, Arbeitslosigkeit), sondern aus Routine. Wir wollten nur verdeutlichen, dass die Destruktivität der Menschheit incl. Sadismus aus denselben Gründen vollbracht werden, bzw. ähnliche Ursachen in der frühen Menschheitsgeschichte haben, wie bei einem einzelnen psychopathisch gearteten/pervertierten Individuum in seiner Kindheit und Jugend (gibts übrigens auch bei Tieren). Der Mensch hat die Fähigkeit, ein Überich zu entwickeln, wenn es soziokulturell durch Prägung und Erziehung in ihm geprägt wird. Wenn dies nicht erfolgte, wird er gewissenlos sein und gewissenlose Handlungen ohne Skrupel und Empathie vollbringen können. Vgl. AKT-Text: http://www.akt-mitweltethik.de/images/texte/MenschMonster_.pdf

  3. @AKT Woher weisst du denn das? Aus Tierversuchen? 😉

    Wenn Grausamkeit das Produkt von Gefühlen ist, kann man nicht kontrollieren was man tut. Damit würde sich dein früheres Argument: grausam kann nur der Mensch sein; ad absurdum führen. Auf dieser Ebene unterscheiden sich Mensch und Tier absolut nicht. Abgesehen davon stimmt nicht was du behauptest, denn wenn man einem Folterknecht befiehlt seine Arbeit zu tun, tut er diese weder aus Angst, noch aufgrund irgendwelcher Gefühle. Er macht seine Arbeit und empfindet dabei nichts. Er handelt aus rationalen Überlegungen heraus: Foltern=Geld verdienen.

  4. Grausamkeiten sind nicht das Resultat der Objektivität und Rationalität, sondern der Emotionalität – sie werden im Limbischen System erzeugt. Grausamkeit und Destruktivität sind Produkte von Gefühlen (meist der Angst) und nicht auf Logik basierend. Das Schlimme ist, dass sie aber rationalisiert wurden als Ultima Ratio fehlinterpretiert und von den Massen geglaubt, weil “die Wissenschaft” es so dargestellt und somit absolutiert hatte.

  5. Anthropozentristisch, “Männerdenke” ist die Vorstellung, dass wir objektiv wären, dafür die Naturwissenschaften. Umso berechenbarer etwas zu sein scheint, umso ernstzunehmender erscheint es uns. Genau das ist eben die Frage, denn bei genauer Betrachtung sind wir nicht objektiv, aber alles andere. Da wird mit Studien belegt, dass Kälbermilch gesund ist für Menschen … usw. Und schon haben wir was wir brauchen und nicht nur der Rubel rollt.
    Mitgefühl ist nicht objektiv, dafür aber umso subjektiver und eine hoffenlich immer stärker werdende, treibende Kraft hin zu weniger Gewalt. Trotzdem ist nichts gegen Untersuchungen zu sagen, im Gegenteil, sie können helfen das Mitgefühl voranzutreiben und es unterstützen.

  6. Ein schwieriges Thema wird hier angesprochen – u. E. sehr relevant!
    Sicherlich ist es erforderlich, zwischen den Wissenschaften, die sich mit der belebten Welt befassen, und denen, die sich mit der unbelebten, rein mathematisch-physikalischen Welt befassen, zu unterscheiden, was ja auch teilweise schon geschieht – nicht immer zum Vorteil des Erkenntniszugewinns: So verstehen sich die Disziplinen Philosophie, Psychologie und u. W. auch Soziologie als “Geisteswissenschaften” und eben gerade nicht als Naturwissenschaften. In der Geisteswissenschaft gilt die sogenannte “Intersubjektivität” als erstrebenswert, während die Naturwissenschaften die sog. “Objektivität” zu erlangen wersuchen – mit mäßigem Erfolg.
    Hierzu drei Beispiele in Kürze: Als füher noch das Patriarchat Gültigkeit besaß, wurden uns Löwenrudel als typisch katerdominiert in Dokumentationen dargestellt. Seit dem aufkommenden Feminismus werden Löwenrudel plötzlich matriachaisch beschrieben. Beide Sichtweisen stimmen in gewisser Hinsicht, denn es kommt auf die Perspektive und somit auch pers. Einstellung des Betrachters und somit auf den Zeitgeist an.
    Zweites Beispiel: Noch vor wenigen Jahren wurde die Homosexualität von den Psychopathologen klar als eine Perversion gesehen und beschrieben (neben Pädosexualität, S/M, Zoosexualität etc.). Inzwischen ist sie politisch salonfähig gemacht worden und Gleichrangig und -wertigkeit zur Heterosexualität wird angestrebt und per Dekret von “oben” verfügt.
    Drittes Beispiel: Obwohl Entwicklungspsychologen und Psychoanalytiker um die enorme Prägungsrelevanz von Kindern in der oralinfantilen Prägephase und die monopersonale Beziehungsbedürftigkeit der Kleinkinder wissen und diese deshalb früher erst mit drei Jahren in die Kindergärten geschickt wurden, werden heute Kinderkrippen von 0 bis 3 Jahren angestrebt, die Kinder werden also quasi interniert, ihre Erziehung und Aufzucht an Institutionen delegiert und eine innige Mutter-Kindbindung wird auf dem Altar der Leistungsgesellschaft geopfert, denn die Mütter sollen gefälligst mit das Bruttosozialprodukt steigern helfen, sich einreihen in die Reihen der Sklaven des Neokapitalismus. Dass dies fatale Folgen auf die Individuation und charakterliche Entwicklung der neuen Generationen hat, wird ignoriert oder sogar – entgegen aller Erkenntnisse hierzu – negiert. Ebenso verhält es sich mit der Gender-Gleichschaltung, die aus uns allen quasi psychosoziale Zinnsoldaten machen soll – perfekt auf das kybernetische System zugeschnitten. George Orwells Phantasien sind zum Greifen nah.
    Hier wird Wissenschaft in der Tat systermkonformiert und ideologisch instrumentalisiert, was vor allem in jenen Disziplinen leicht möglich ist, in denen viel Interpretationsbedarf vorhanden ist, es weniger um Zahlen und Fakten, als um Beobachtungen und Deutungen geht. Und genau dies ist in all jenen Bereichen der Fall, in denen es um Leben geht. Ist es nicht merkwürdig, dass erst in letzter Zeit immer mehr Tierarten Intelligenz und Leidensfähigkeit zuerkannt wird?

  7. Diese Freidenker sind eine sektiererische Gruppe in den Sozialwissenschaften, und sind nicht repräsentativ für Sozialwissenschaftler. Politologen hinterfragen sehr wohl die herrschenden Zustände und das “cui bono”.

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