28. März 2024

Der Tierschutzbegriff im Licht des OLG-Urteils

Der Tierschutzbegriff ist die Crux im neuen Urteil des Oberlandesgerichts Wien, https://martinballuch.com/?p=2707. Dort wird nämlich zunächst festgestellt, dass eine Firma zur Änderung ihrer Geschäftspolitik durch die Drohung zu bewegen, die KonsumentInnen über die Produktionsbedingungen zu informieren, eine Nötigung sei. Das wäre aber noch keine Straftat, wenn das Mittel zum angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet. Und: Gegen die guten Sitten verstößt, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, das ist aller billig und gerecht Denkenden, widerspricht. Und dann, und hier kommt das Unfassbare des Urteils, wird festgestellt, dass Tierschutz zwar den guten Sitten entspricht, aber die Forderung an eine Firma, allen Tierpelz aus dem Sortiment zu nehmen, würde sozusagen zu weit gehen, sei eine Forderung, die den anerkannten Tierschutz verlässt und überschreitet. Allen Pelz entfernt sehen zu wollen sei dann sittenwidrig, weil das dem Rechtsgefühl der […]billig und gerecht Denkenden widerspreche.

Kernstück des OLG-Urteils ist also die Frage, was ist Tierschutz, was für eine Bedeutung hat dieser Begriff, was ist damit gemeint. Tierschutz an sich ist nämlich in vielen Bereichen des Gesetzes als erstrebenswertes Ziel anerkannt. Ab morgen steht das Staatsziel Tierschutz in der österreichischen Verfassung: Die Republik bekennt sich zum Tierschutz. Also eine mit den Ansprüchen des Tierschutzes konforme Geschäftsführung von einer Firma zu fordern ist ein Staatsziel und daher sicher nicht sittenwidrig. Ebenso taucht Tierschutz in den Richtlinien über die Gemeinnützigkeit als anerkannt gemeinnütziges Ziel auf. Die Frage, was mit Tierschutz gemeint ist, haben die OLG-Richterinnen in ihrem Urteil beantwortet: jedenfalls nicht, gegen allen Tierpelz zu sein. Hätten sich die Angeklagten mit der Forderung nach artgerechter Tierhaltung zufrieden gegeben oder sich auf jene Tiere beschränkt, die vom Pelzfarmverbot im Tierschutzgesetz umfasst sind, dann wäre – laut Richterinnen – das Urteil des OLG anders ausgefallen. Der Definition der Richterinnen nach bedeutet Tierschutz also lediglich artgerechte Tierhaltung und nichts darüber hinaus.

Die ersten Tierschutzvereine und Tierschutzgesetze gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Tierschutz wurde damals sehr anthropozentrisch gesehen, der Einsatz dafür war als Schutz von sensiblen Personen und als Maßnahme gegen die Verrohung von Menschen gedacht, Schutz“objekte“ waren Pferde und Haustiere. Was aber mit Tierschutz gemeint ist, hat sich seitdem stetig weiter entwickelt. Magnus Schwantje (1877-1959), Albert Schweitzer (1875-1965) oder Wilhelm Brockhaus (1907-1983) führten den Tierschutzgedanken schon früh zu Veganismus und Personenrechten. Spätestens seit den 1980er Jahren umfasst Tierschutz auch den Schutz des Lebens der Tiere und den Anspruch, den Tieren den Sachenstatus zu nehmen. 1988 wurde das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch um § 285a erweitert, der zumindest programmatisch vorschreibt, dass Tiere keine Sachen sind. Spätestens seit den 1990er Jahren sind auch in Österreich Tierschutz und Vegetarismus bzw. Veganismus eng miteinander verwoben.

Dann wurde aber 1997 der Begriff „Tierrechte“ als Gegenpol zu Tierschutz aus England importiert. Man wollte damit unterstreichen, dass es im Gegensatz zum Tierschutz des 19. Jahrhunderts um eine politische Forderung nach absolutem Schutz der individuellen Tiere um ihrer selbst Willen geht, im Sinne von subjektiven Personenrechten. Doch auch da verschwammen die Grenzen, allein schon mit dem Pelzfarmverbot von 1998 und dem Wildtierverbot im Zirkus 2002, die beide auch „artgerechte“ Tierhaltung zumindest gewisser Tiere für gewisse Zwecke im Tierschutzgesetz, also als Tierschutzforderung, untersagten. Das Bundestierschutzgesetz von 2005 sieht als Zielbestimmung in § 1 den Schutz des Lebens und Wohlbefindens aller Tiere vor. Auch in das Strafrecht § 222 wurde zumindest der Schutz der Wirbeltiere vor einer noch so schmerzfreien Tötung ohne guten Grund eingeführt.

Als die Ermittlungen in der Tierschutzcausa ab Oktober 2006 einsetzten, war es sehr rasch erklärtes Ziel der SOKO, in guten Tierschutz und böse Tierrechte zu trennen. Die ominöse kriminelle Organisation wurde „Militante Tierrechtsgruppen“ getauft und alle verdächtigen Tierschutzvereine wurden zu „Tierrechtsvereinen“, der Tierschutzunterricht an den Schulen zum „Tierrechtsunterricht“, das Ziel unserer Arbeit zur „Tierrechtsrevolution“ und die Tierschutzdemos und –aktionen zu „Tierrechtsdemos und –aktionen“ etc. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung änderte in seinen jährlichen Verfassungsschutzberichten den Titel des Kapitels über den Tierschutz von „Militanter Tierschutz“ noch 2006 (im Jahr 2007 geschrieben) über „Militante Tierrechtsszene“ 2007 (im Jahr 2008 geschrieben) zu „Militante Tierrechtsgruppen“ – „zufällig“ genau der Name der angeblich existenten kriminellen Organisation – ab 2008 bis heute.

Die Repressionsbehörden und die repressive Justiz versuchen also die Definitionshoheit über den Tierschutzbegriff zu reklamieren. Sie wissen um die positive Bedeutung in der Bevölkerung und den Schutz, den dieser Begriff durch seine gesetzliche Verankerung den Aktiven bietet. Jetzt wollen sie den Aktivismus daraus hinaus drängen und in das Tierrechtseck stellen, deutlich abgegrenzt vom „guten“, überall akzeptieren und nicht sittenwidrigen Tierschutz. Tierrechte hingegen sollen sittenwidrig sein und Tierrechtsforderungen an Firmen zur strafrechtlichen Nötigung werden.

Dieser hinterfotzigen Strategie muss mit aller Macht entgegen getreten werden. Wir, die wir Tierschutzarbeit leisten, die wir dem Begriff Tierschutz seinen Sinn geben, haben auch die Definitionshoheit darüber, was unter Tierschutz fällt und was nicht. Ein Weg, das OLG-Urteil auszuhebeln, ist daher, auch den letzten ewiggestrigen Richterinnen klar zu machen, dass die gesellschaftlich akzeptierte Bedeutung von Tierschutz auch unsere Tierschutzarbeit für Vegetarismus, Veganismus und pflanzliche Alternativen genauso umfasst, wie die Kampagnen für ein absolutes Ende des Pelzhandels, von Tierversuchen und der Jagd.

2 Gedanken zu “Der Tierschutzbegriff im Licht des OLG-Urteils

  1. Ich würde jedem Betroffenen empfehlen sich ernsthaft mit dem Begriff “gute Sitten” zu beschäftigen. Ich habe im Internet keine gute Seite in Bezug auf österr. Recht gefunden, aber eine sehr gute in Bezug auf deutsches Recht. “Gute Sitten” sind ein für jeden erkennbarer, schwammiger Begriff. Niemand weiß was gute Sitten sind. Das wird auf dieser Seite thematisiert. Sollte man unbedingt lesen wenn man damit zu tun hat.

    http://ruessmann.jura.uni-sb.de/bvr2003/Vorlesung/sittenwi.htm

    Unter anderem steht dort:

    “Im Verhältnis zwischen sozialethischen und rechtsethischen Prinzipien gebührt im Zweifel den letzteren der Vorrang. Insbesondere, wenn eine herrschende Moralauffassung in der Gesellschaft nicht eindeutig festgestellt werden kann, hat sich der Richter an den in unserer Rechtsordnung und hier insbesondere an den im Grundgesetz festgelegten Grundwerten zu orientieren.” Ich glaube das kann man auch auf Österreich anwenden.

    Wenn ich das richtig verstehe bedeutet dies, dass ein Versammlungs- und Demonstrationsrecht in jedem Fall als höher einzuschätzen wäre als ein “möglicher” aber unbeweisbarer Verlust eines Händlers aufgrund einer Demonstration. Ebenso wäre die Meinungsfreiheit in jedem Fall höher zu bewerten:

    In Österreich ist die Meinungsfreiheit durch Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK geschützt. Art. 10 EMRK gewährt hierbei einen größeren Rechtsschutz. Danach kann sich jedermann auf jede Art frei äußern und Äußerungen anderer empfangen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann dieses Grundrecht eingeschränkt werden.

    Dazu ein Beispiel aus dem Strafgesetzbuch 103. Bundesgesetz, Jahrgang 2011:

    Verhetzung

    § 283. (1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, zu einer feindseligen Handlung gegen eine im Inland bestehende Kirche oder Religionsgesellschaft oder gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, zu einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

    (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer öffentlich gegen eine der im Abs. 1 bezeichneten Gruppen hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Meinungsfreiheit#.C3.96sterreich

    Die Vereinigung von Pelzhändlern ist keine schützenswerte Religionsgemeinschaft.

    Dazu kommt, dass große Teile der Bevölkerung das Foltern von Tieren als sittenwidrig einstufen und in Folge dessen auch den Verkauf auf solche Weise hergestellter Produkte. Da müsste man also auch feststellen, dass hier zwei miteinander kollidierende Auffassung bestehen was in diesem Fall überhaupt als sittenwidrig anzusehen ist. Noch dazu wo Tierschutz jetzt in der Verfassung steht. Tierschutz bedeutet in diesem Fall dann wohl auch, dass ausländische Waren die aufgrund der Folter von Tieren entstanden sind, in Österreich theoretisch nicht verkauft werden dürfen. Man stellt ja auch Raub unter Strafe, in Folge dessen auch den Verkauf gestohlener Ware. Deshalb wird man im Ausland gestohlene Ware, die hier verkauft wird, auch als Diebesgut dem Verkäufer abnehmen und ihn hindern diese zu verkaufen. Warum sollte das beim tierischen Produkt anders sein? Ansonsten würde man die österreichischen Gesetze zum Tierschutz unterlaufen. Ich kenne mich mit Recht nicht aus, aber was ich hier an Gedanken darlege, sind meine Vorstellungen von dem was “gute Sitten” sind. Gehe ich damit mit der Mehrheit (aller) der guten moralisch und gerecht Denkenden (Erwachsenen) in der Gesellschaft konform? Vielleicht sollte man eine Umfrage starten was “alle” dazu denken und auch gleich feststellen wer die “alle” sind?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert