28. März 2024

Intersektionalität: oft zu Lasten der Tiere

Es gibt viele Diskriminierungsformen in der Gesellschaft, manche sprechen von 15 und mehr. Da geht es um Diskriminierung nach der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts, aber auch nach der gesellschaftlichen Klasse, der sexuellen Orientierung oder des Alters. Für uns ist natürlich die Diskriminierung nach der biologischen Art zentral, der Speziesismus, auch wenn er von der Diskriminierungsforschung oft vergessen wird. Tatsächlich ist die Diskriminierung nach der Art mit Sicherheit die größte und brutalste.

Viele, wenn nicht alle dieser Diskriminierungsmuster hängen zusammen. Ihnen gemeinsam ist eine Abwertung an sich ähnlicher Bedürfnisse und Interessen von als anders empfundener Lebewesen. Intersektionalität bezeichnet nun die Überlappung solcher Diskriminierungen, die zu einer neuen Qualität der Diskriminierung führt. Hier entwickelt der Speziesismus bereits seine Eigendynamik: Tiere werden von diesem Überlappungsprozess ausgenommen. Oft im Gegenteil, gerade an TierschutzaktivistInnen werden besonders hohe Maßstäbe gestellt, nicht zu anderen Diskriminierungsformen beizutragen, die Diskriminierung nach der Art wird als periphäre Problematik abgetan:

•    Wenn wir uns für Reformen im Sinne des Tierschutzes bei großen Konzernen und Supermarktketten einsetzen, dann sei das eine Klassendiskriminierung. Ohne Abschaffung des Kapitalismus könne es keine Tierbefreiung geben.
•    Wenn wir uns für Reformen in der Tierschutzgesetzgebung einsetzen, dann würde das eine Anerkennung des bürgerlichen Rechtsstaates mit seinen patriarchalen Werten, seiner Hierarchie und seinem Gewaltmonopol bedeuten.
•    Tierschutzaktivismus mit Nacktaktionen würde eine Objektivierung des weiblichen Körpers und deshalb diskriminierend sein.
Und vieles mehr.

Eine amerikanische Tierschutzaktivistin erzählte mir von einer feministischen Gruppierung in den USA, die eine schwarze Liste von Tierschutzvereinen führe, die sexistisch seien. Auf ihre Frage, warum es nicht auch eine Liste von feministischen Gruppen gebe, die speziesistisch seien, z.B. weil sie Fleisch konsumieren, wurde abgewunken. Man würde sich nicht so intensiv um das Privatleben feministischer AktivistInnen kümmern wollen. Aber in der Blacklist fand sich auch eine Tierschutzgruppe aus Australien, also von der anderen Seite der Welt. Dafür ist dann genügend Interesse vorhanden.

Ja, es mag Überschneidungen zwischen Diskriminierungsformen geben und diese mögen einen inneren Zusammenhang haben. Aber auffällig ist, dass man das ständig der Tierschutzseite vorhält. Wie oft werden antikapitalistische AktivistInnen wegen ihres Fleischkonsums kritisiert? Jener deutsche Aktivist, der aufgrund seiner Präsenz auf einer Anti-WKR Demo in Österreich inhaftiert war, konnte öffentlich ungehindert speziesistisch sein: hierzulande seien zwar Legebatterien verboten, aber Menschen würden in Gefängnisse gesperrt, sagte er sinngemäß bei einem Interview mit dem Standard.

Konkret können wir nur Fortschritte erzielen, wenn wir das anstehende Problem in Teilprobleme auflösen. Wir kämpfen nicht gegen alle Diskriminierungsformen, sondern nur gegen den Speziesismus. Und nicht gegen alle Formen des Speziesismus, sondern z.B. gegen die Ausbeutung von Vögeln. Und nicht gegen jede Ausbeutung von Vögeln, sondern nur gegen jene von Haushühnern. Und da nicht gegen jede, sondern nur gegen jene der Legehennen. Und da nicht gegen jede Form, sondern nur gegen die Käfighaltung. So gelang es uns, Legebatterien zu verbieten. Ein Fortschritt war erreicht. Single issue nennt sich dieses Vorgehen. Es zeugt nicht von Blindheit gegenüber dem Gesamtproblem, sondern von dem Bedürfnis, nicht ein ganzes Leben lang gegen die Wand rennen zu wollen, sondern weiter zu kommen.

Und ich glaube, dass solche single issue Fortschritte letztlich auch auf die Gesamtproblematik zurückwirken. Mehr Respekt gegenüber Legehennen bedeutet, dass eine dominante Gruppe – in diesem Fall die Menschen – sich darüber Gedanken macht, wie es einem scheinbar minderwertigen, jedenfalls wehrlosen Wesen geht. Ob es gerechtfertigt ist, dieses Wesen nach Belieben auszubeuten, oder ob dem nicht Grenzen gesetzt werden müssen. Ich bin überzeugt, dass es vom Legebatterieverbot zu einer Vorschrift, nur noch Freilandhennen halten zu dürfen, nicht weit ist, und von dort zur Anerkennung von Hühnern als Personen, und von dort zu Tierrechten. Und das ist letztlich ein Schritt Richtung Hinterfragen aller Diskriminierungsformen unserer Gesellschaft.

5 Gedanken zu “Intersektionalität: oft zu Lasten der Tiere

  1. p.S.: Eine Tierrechtsgruppe die sich genau mit dem Thema Intersektionalität beschäftigt und gerade eine Interviewreihe dazu begonnen hat: http://indyvegan.org/about/

    ““The Revolution will be intersectional” – Tierbefreiung ist für uns kein Single-Issue, sondern ein wichtiger Teil politischen Engagements und gesellschaftlicher Sensibilisierung. Der Einsatz für Tierrechte und eine vegane Lebensweise ist für uns in erster Linie ethisch begründet. Tierrechtsarbeit ist für uns in keiner Weise mit menschenfeindlichen Haltungen oder der Toleranz dieser vereinbar.”

  2. ich denke, dass es natürlich unmöglich ist, gegen ALLE Diskriminierungsformen vorzugehen. Trotzdem sollte niemand bei seinem*ihrem Vorgehen gegen eine Diskriminierungsform andere Diskriminierungsformen unterstützen.

    Ich finde Kritik gut und notwendig – von den verschiedenen Gruppierungen untereinander. Es ist ja auch logisch dass es viele Tierschützer*innen gibt, die noch nie oder selten über Sexismus nachgedacht haben, weil sie vorallem zum Tierschutz gekommen sind, weil ihnen Tiere leid tun. Genau so ist es logisch dass viele Anit-Rassist*innen, Feminist*innen usw. nicht vegan leben, weil sie noch nie (oder nicht ausreichend) über die Ausbeutung von Tieren nachgedacht haben, da ihr Zugang zu Diskriminierungsformen eben über den Mensch kommt.

    Horizonterweiterung kann nur von konstruktiver Kritik UND das Annehmen von Kritik kommen.
    In diesem Sinne: Für eine Welt ohne Gewalt;

    peace, Hans

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