28. März 2024

Ist Vegetarismus wirklich „zu viel verlangt“?

Ich habe ein Verständnis dafür, dass es vielen Menschen schwerfällt, vegetarisch oder vegan zu leben, siehe z.B. https://martinballuch.com/?p=878. In einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung hat sich der Theologe und Ethiker Univ.-Prof. Markus Huppenbauer zu Vegetarismus geäußert. Huppenbauer arbeitet im Ethik-Zentrum der Uni Zürich an den Themen Umweltethik und ethische Lebensführung, ist aber auch Privatdozent für Ethik an der Theologischen Fakultät.

In seinem Interview outet sich Huppenbauer als Nicht-Vegetarier. Er nennt Vegetarismus und Veganismus als ethische Forderung „fragwürdig, weil sie vom durchschnittlichen Menschen in unserer Kultur zu viel verlangt. Zu einem guten Leben gehört der Verzicht auf derart extreme Forderungen.“ Das gesamte Interview findet sich hier:  http://www.nzz.ch/nachrichten/startseite/zu-einem-guten-leben-gehoert-der-verzicht-auf-radikale-forderungen_1.16221640.html

Da Huppenbauer selbst nicht vegetarisch lebt und in dem gesamten Interview lediglich dieses einzige Argument gegen Vegetarismus anführt, ist es wohl auch die Begründung für ihn, weiterhin Fleisch zu essen. Das soll also der Standpunkt eines Universitätsprofessors für Ethik sein: ich lehne den Vegetarismus ab, weil ich mit Fleischessen sozialisiert wurde und es mir deshalb zu schwer fällt, dieser ethischen Forderung zu folgen.

In der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Anima“ vom Frühjahr 2012 kommt die 8 jährige Liora zu Wort. Sie erzählt, dass sie Vegetarierin geworden ist, weil ihr die Tiere leidtun. Offenbar essen ihre Eltern weiterhin Fleisch und sie hat trotz ihres Alters und ihrer Abhängigkeit von den Eltern ihren ethischen Willen durchgesetzt.

Ist das nicht ein Armutszeugnis für den Herrn Universitätsprofessor für Ethik? Sogar 8 jährige schaffen es unter widrigeren Bedingungen denselben ethischen Forderungen zu folgen, die von ihm in seinen Worten „zu viel verlangen“. Ist Sojaschnitzel statt Schweinsschnitzel zu essen wirklich in solchem Ausmaß „zu viel verlangt“, dass man dafür die gesamte Ethik der Gewaltfreiheit gegenüber Tieren über Bord werfen muss? Ist es auch „zu viel verlangt“, eine Umstellung auf Freilandschnitzel zu fordern? Wenn nein, ist der Schritt vom Massentierhaltungsschnitzel zum Freilandschnitzel von den Anforderungen her nicht viel größer, als der vom Freilandschnitzel zum Sojaschnitzel?

Nehmen wir für den Moment einmal die These Ernst, dass der Fleischverzicht von Menschen zu viel verlangt sei, die mit Fleischessen sozialisiert wurden. Wie steht es dann mit Kindern, die nie Fleisch gegessen haben? Für die ist es offenbar kein Aufwand, vegetarisch zu leben. Was meint Herr Huppenbauer also dazu, Kinder vegetarisch aufzuziehen? Mittlerweile gibt es schon viele Menschen in Österreich, die vegan oder zumindest vegetarisch aufgewachsen sind. Nach deren Angaben war damit kein Aufwand verbunden, was sie nicht kannten ging ihnen auch nicht ab. Und waren sie einmal alt genug, haben sie sich bereits vor Fleisch gegraust.

Von einem Ethikprofessor sollte man sich ein Mindestmaß an argumentativer Tiefe erwarten dürfen. Wenn also Vegetarismus ausschließlich deshalb abzulehnen wäre, weil er von mit Fleisch sozialisierten Personen zu viel verlange, dann müsste doch die Sozialisation ohne Fleisch die Lösung dieses „ethischen Dilemmas“ sein. Ist ihm das nicht selbst aufgefallen oder setzt, wie so oft, wenn es um den eigenen Bauch geht, die Logik an dieser Stelle plötzlich aus?

5 Gedanken zu “Ist Vegetarismus wirklich „zu viel verlangt“?

  1. Super, ich finde, es kann gar nicht genug zum Thema veganes und vaeteerischgs Leben geben. Wir besche4ftigen uns auch gerade mit diesem Thema und es gibt einfach soviele sche4dliche Aspekte des Fleischkonsums, fcber die sich viele keine Gedanken machen!

  2. Als Veganerin und vormals Vegetarierin kann ich sagen, dass weder die eine, noch die andere Lebensweise zu viel verlangt ist. Fleischkonsum ist schon lange nicht mehr zeitgemäß und jemand, der einen solchen Posten besetzt, sollte sich besser überlegen, was er da von sich gibt.

  3. Achso, ich hätte es so interpretiert, dass die”zwei Ernährungs-«Konfessionen» [sic!]” zwar von aussen gesehen miteinander verwandt sind und er deshalb über die Debatte verwundert ist, allerdings die Kritik des Radikalismus sich auf den Veganismus bezieht. Kann man aber sicher auf die eine wie die andere Weise verstehen.

    PS.: In jedem Fall könnte man dir unterstellen, dass du dem – in einem anderen Beitrag m.E. ungerechtfertigten Vorwurf – der Polemik diesmal ein wenig gerecht werden wolltest – was ich nicht als Vorwurf meine 😉

  4. @Tina: Vor der von Dir zitiertenStelle steht: “Ich beobachte diese Debatte [zwischen Vegetarismus und Veganismus] mit Verwunderung. Hier streiten sich zwei Ernährungs-«Konfessionen», die von aussen her gesehen sehr nahe miteinander verwandt sind.”

    Ich schließe daraus – und aus dem gesamten Text – dass Herr Huppenbauer keinen großen Unterschied zwischen Vegetarismus und Veganismus macht.

  5. Hallo Martin,

    kurzer Einwurf – lies nochmal nach:
    “Meines Erachtens ist die von Veganern vertretene radikale Ablehnung der Nutzung von Tieren aber nicht zuletzt deswegen fragwürdig, weil sie vom durchschnittlichen Menschen in unserer Kultur zu viel verlangt. Zu einem guten Leben gehört der Verzicht auf derart extreme Forderungen.”

    Es wird also nicht der Vegetarismus sondern der Veganismus als zu radikal kritisiert. (Wenn man das ganze im Zusammenhang liest, geht es eigentlich konkret um “Forderungen” von VeganerInnen gegenüber Ovo-Lacto-VegetarierInnen)

    Der Vegetarismus selbst (und warum M.H. diesen nicht lebt) steht beim Interview selbst ein wenig im leeren Raum – lässt sich wohl schwerer als radikal kritisieren als der Veganismus 😉

    Meine Anmerkung ändert natürlich nichts an deiner grundlegenden Argumentation, allerdings ist mE. zumindest der Titel falsch gewählt 😉

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