28. März 2024

Keine volle Akteneinsicht: wesentliche Teile fehlen

Die Verteidigung moniert das schon seit Jahren: sie hat keinen Zugang zu den Polizeiakten, in denen sich wesentliche entlastende Fakten befinden müssen. Es ist zwischen Gerichtsakt und Polizeiakt zu unterscheiden. Die Polizei ermittelt und legt dazu einen Akt an. Was sie davon für „relevant“ hält, gibt sie an das Gericht weiter. Die Angeklagten haben nur Einsicht in den Gerichts- aber nicht in den Polizeiakt bekommen, obwohl ihnen letzteres bis zur Erstellung der Strafanträge gesetzlich zugestanden wäre. Die Polizei hatte sich aber einfach widerrechtlich geweigert. Selbst ein Gerichtsurteil, das die Polizei zur Akteneinsicht zwingen wollte, konnte diese nicht davon abhalten, den Beschuldigten Akteneinsicht zu verweigern. Die SOKO war nicht verlegen, Ausreden zu erfinden, wie z.B., dass gerade niemand Zeit habe oder dass sie die entsprechenden Faxe leider nicht bekommen hätte.

Normalerweise werde nach Erstellung der Strafanträge die polizeilichen Ermittlungen beendet und der gesamte polizeiliche Ermittlungsakt dem Gericht übermittelt. Nur deswegen sieht die Strafprozessordnung ab dann keine Akteneinsicht in die polizeilichen Ermittlungsakten mehr vor: im Normalfall gibt es dann keine mehr. Doch in der Tierschutzcausa ist nichts normal. Die Polizei hat einfach den Großteil ihrer Akten zurückgehalten.

Es gab parlamentarische Anfragen der Grünen diesbezüglich, aber die Justizministerin behauptete einfach, die Beschuldigten hätten Akteneinsicht. Dabei meinte sie stillschweigend die Gerichtsakten, aber nicht die Polizeiakten. Wie gesagt, diese sollte es in diesem Stadium gar nicht mehr geben. Auch eine Anfrage bei der Innenministerin wurde negativ beantwortet: es gebe nichts mehr zu zeigen.

Doch aus den Akten ist leicht beweisbar, wie viele wesentliche Teile der Ermittlungsakten fehlen. Z.B. gab es monatelange Peilsenderüberwachungen. Die Anträge dazu finden sich im Gerichtsakt, Ergebnisse finden sich freilich überhaupt keine. Dazu kommen aber noch zahlreiche weitere fehlende Ermittlungsfakten, deren Existenz durch Bemerkungen im Gerichtsakt bekannt ist, wie Videofallen, Observationen, DNA-Untersuchungen, verdeckte ErmittlerInnen, Erkundigungen bei Firmen und Einzelpersonen, Vertrauenspersonen, technische Überwachungen und Ermittlungen der im Rahmen der Amtshilfe tätigen Steuerfahndung.

In der Verhandlung ist jetzt aber das Fehlen weiterer Aktenteile ans Tageslicht gekommen:

  1. Zunächst sprach die Frau Chefinspektor von der SOKO am 14. Prozesstag von verdeckten ErmittlerInnen und Vertrauenspersonen. Davon sind aber keine Ergebnisse im Akt. Das begründete sie damit, dass diese Personen nichts herausgefunden hätten und daher deren Ergebnisse als irrelevant nicht in den Gerichtsakt gegeben wurden. Das ist aber absurd. Es ist sehr leicht möglich, z.B. beim VGT zu Aktivistentreffen zu kommen und einfach überall mitzumachen. Wenn dann bei diesen Aktionen nichts Kriminelles passiert, dann ist das entlastend für die VGT-Beschuldigten.
  2. Am 21. Prozesstag wurde die Funkzellenauswertung thematisiert. Dabei sagte ein Mitglied der SOKO als Zeuge aus, dass es zu den Straftaten Abgleiche mit den jeweiligen überwachten Telefonen gegeben habe, d.h. man habe geschaut, ob die überwachten Personen zum Tatzeitpunkt in der Nähe der Tatorte waren. Die Ergebnisse dieser Auswertungen stehen aber nirgends im Akt. Wieder wird argumentiert, es sei irrelevant, wenn niemand der Beschuldigten zum Tatzeitpunkt in der Nähe des Tatorts war. Tatsächlich ist das aber natürlich entlastend.
  3. Am 23. Prozesstag wurde eine chemische Laborantin vom Bundeskriminalamt einvernommen. Sie sagte so nebenbei, dass zahlreiche Flüssigkeiten und Kleidungsstücke von Hausdurchsuchungen ihrem Labor von der SOKO zur Analyse übergeben worden seien. Aus dem Materiallager des VGT waren zahlreiche Flaschen und Behälter dabei. Das Ergebnis ihrer Analyse war, dass nichts davon mit irgendwelchen Straftaten in Verbindung stand. Diesen Befund, so gab die Zeugin an, hat sie bereits Anfang Juli 2008, also mitten während der U-Haft, der SOKO übermittelt. Aber die entschied: irrelevant, und gab nichts davon in den Akt weiter. Aber natürlich ist es entlastend, wenn niemand der Beschuldigten irgendwelche tatrelevanten Chemikalien zu Hause, im Materiallager oder an Kleidern und Schuhen hatte.
  4. Am 24. Prozesstag sprach ein SOKO-Mitglied von Berichten, die er verfasst habe, in denen stünde, dass keine Straftat einem der Beschuldigten zugeordnet werden könne. Auf Anfrage, was mit diesen Berichten geschehen sei, sagte er, er wisse das nicht, er könne auch nicht sagen, wer diese habe. Wieder sind entlastende Fakten gezielt aus dem Gerichtsakt herausgelassen worden.

In der Strafprozessordnung StPO steht:

Objektivität und Wahrheitserforschung

§ 3. (1) Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht haben die Wahrheit zu erforschen und alle Tatsachen aufzuklären, die für die Beurteilung der Tat und des Beschuldigten von Bedeutung sind.

(2) Alle Richter, Staatsanwälte und kriminalpolizeilichen Organe haben ihr Amt unparteilich und unvoreingenommen auszuüben und jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden. Sie haben die zur Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit der gleichen Sorgfalt zu ermitteln.

Nicht nur, dass den Angeklagten im Tierschutzprozess dadurch kein faires Verfahren geboten wird, dass sie nicht volle Einsicht in die Akten haben, weil so entlastende und damit für die Verteidigung wichtige Fakten einfach zurückgehalten werden. Es ist auch ganz offensichtlich, dass §3 StPO übertreten wurde. Das wurde bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Was war die Reaktion? Die Anzeige wurde niedergelegt!

6 Gedanken zu “Keine volle Akteneinsicht: wesentliche Teile fehlen

  1. ich kann nur sagen ichpack das nicht..ich pack das alles nciht. iehc wünsch euch alles gute, leider bin ichkeine millionärin, denn wenn ich eine wär hätt ich schon einige ideeeeeeeennn.. aber leider. komm grad selber so irgendwie über die runden. bitte haltet die ohren steif und vergesst ja nichts. das alles MUSS öffentlcih gemacht werden, so geht das in einem rechtsstaat nicht. sofern wir noch einer sind.. es kommen berechtigte zweifel auf. und wie!!!

  2. Offensichtlich sind auch die als Kontrollorgane vorgesehenen Instanzen korrupt. Was bleibt in so einem Fall noch? Ist es überhaupt rechtfertigbar einen korrupten Staat zu respektieren und seine Weisungen zu befolgen? Immerhin sind sie nicht mehr durch gesellschaftliche Übereinkünfte legitimiert, wenn derartiig klar unzählige Verfassungsrechte gebrochen werden.

  3. Es ist und bleibt unfassbar, was passiert.ist und wie es immer weiter geht.
    Ich kann nur zusehen, und davon sprechen, und sende Ihnen und den anderen Angeklagten meine besten Wünsche.

  4. Was mir doch wieder etwas Hoffnung gibt (zumindest was ein etwaiges Urteil in letzter Instanz betrifft; viele Monate U-Haft und Prozess sind und bleiben dann natürlich trotzdem skandalös)

    “Nach dem Rechtsstaatsprinzip müssen die Auswirkungen von Gesetzen vorhersehbar sein (der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies wiederholt unter dem Stichwort “quality of the law” ausgeführt). Gerade Strafgesetze müssen die strafbare Handlung so klar umschreiben, dass der Bürger abschätzen kann, welche Handlungsweise erlaubt und welche verboten ist. Diffuse Gesetze dürfen in einem Rechtsstaat vom Gericht gar nicht angewandt werden.

    Im Fall einer Verurteilung wird dieser Aspekt sicher bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgetragen werden. Interessant dabei: Der Verein gg Tierfabriken war auf dieser Ebene schon in aufsehen-erregenden Prozessen gegen die Schweiz erfolgreich … war die Staatsanwaltschaft in grundrechtlichen Fragen wirklich so uninformiert, sich ausgerechnet diese Organisation als Gegner ausgesucht zu haben?” ”

    Quelle (zugegeben aus einer ganz anderen Ecke 😉
    http://www.sexworker.at/phpBB2/printview.php?t=6030&start=0

  5. Zur letzten Bundespräsidentenwahl kamen internationale Wahlbeobachter (*), nicht aus besonderem Anlass sondern routinemäßig.

    Gibt’s da keine entsprechenden internationale oder EU-Prozessbeobachter, die man einschalten könnte? Was sagt Amnesty International dazu?

    Hier (**) findet sich etwas ähnliches, kann das aber bzgl. Seriosität und Relevanz nicht beurteilen.

    Mir scheint übrigens auch das Echo in den Medien viel zu gering zu sein, aus eigener Anschauung, aber auch hier festzustellen (***)

    (*) http://derstandard.at/1269449227821/Wahlbeobachter-werden-Parteienfinanzierung-pruefen

    (**) http://www.justizirrtum.info/forum/posts/2889.html

    (***) http://tierschutzprozess.at/medien/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert