20. April 2024

Privatkonkurs für Angeklagte

Ist es Kalkül? Ist das ein gewünschter Nebeneffekt dieses Prozesses?

Ich habe mich oft gefragt, wie es im Fall von Martin Luther King, dem Bürgerrechtsaktivisten in den USA der 1960er Jahre war. Er wurde, wie wir im Tierschutzprozess, angeklagt und mit vielen Jahren Gefängnis bedroht. Auch bei ihm ging es um angeblich radikale Aussagen bei seinen Vorträgen. Er hatte auch einige Kampagnen mit Dauerdemonstrationen organisiert, die so angelegt waren, dass sie den Handel möglichst beeinträchtigen sollten. So erwartete sich King, am ehesten Gehör zu bekommen. Seine konfrontativen Kampagnen hatten das Ziel, die Mächtigen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Und das ging nur, wenn seine Kampagne ihnen schwer auf die Nerven ging, sodass sie nur im Kompromiss eine Lösung des Konflikts sahen.

Aber King wurde nie von seinen politischen GegnerInnen finanziell ruiniert. Er hatte Frau und Kinder und ein Privathaus. Das war, entnehme ich seiner Biographie, nie in Gefahr. Weder durch Privatklagen der Handelstreibenden, noch durch eine Behörde, die ihn mit dem finanziellen Ruin bedrohte.

Ganz anders bei uns im Tierschutzprozess. Lassen wir die ganzen anderen Beeinträchtigungen einmal unbeachtet, die jahrelange Bedrohung ins Gefängnis zu kommen, die 3 ½ Monate lange U-Haft (King war maximal einige Tage im Gefängnis), die jahrelange Verfolgung durch eine SOKO inklusive nächtlicher Überfall, permanente polizeiliche Hausbesuche, Mikrophone im Büro, Peilsender am Auto, Videofallen, Observationen, Telefonüberwachung usw. Lassen wir das alles einmal weg. Dann bleibt noch immer die fundamentale und praktisch unausweichliche Bedrohung des persönlichen Bankrotts.

Und da spreche ich gar nicht von Unterlassungsklagen seitens einiger Firmen, sogenannter SLAPPs – im Moment habe ich 2 solche Zivilprozesse gleichzeitig gegen mich laufen! Ich spreche von 1 Jahr Strafprozess samt allen seinen Kosten, die ich in keinem Fall ersetzt bekomme. Ich spreche von 1 Jahr Prozess mit 3 Tagen pro Woche im Gerichtssaal, ohne arbeiten gehen zu können. Ich spreche von Monaten Arbeitszeit, die in diesen Prozess zu investieren sind. Ich spreche von den Kosten für die RechtsanwältInnen, für unsere Privatgutachten, für die Fahrten.

Und ich spreche davon, dass bei einer Verurteilung alle Kosten für die zwangsweisen DNA-Abnahmen, für die verrückten Gerichtsgutachten gegen uns (€ 35.000 allein für diesen Linguisten) und für die Telefonabhörungen (ca. € 400.000) vollkommen automatisch uns angelastet werden. Das ist ja wie bei den Hexenprozessen: dort mussten auch die DelinquentInnen das Holz für ihre Scheiterhaufen selbst bezahlen!

Und ich spreche von den Klagen aller möglicher Firmen, die nach einem Schuldspruch plötzlich irgendwelche nicht nachvollziehbaren Sachschäden von vor 15 Jahren uns gegenüber geltend machen werden.

Ich spreche von mehreren € 100.000 bis weit über € 1 Million, die uns bei einem Schuldspruch pro Person erwarten!

Das bedeutet den totalen Privatkonkurs. Das bedeutet, auf absehbare Zeit nichts besitzen zu können, kein Auto, keine Wohnung und kein Haus. Das bedeutet ein Leben am Existenzminimum, für uns und unsere Familien.

Wie hätte Martin Luther King reagiert, wenn man seiner Familie das Haus genommen und sie auf die Straße gesetzt hätte? Er war mental sehr stark und bereit, für seine Ideale und seine gewaltfreien aber konfrontativen Kampagnen ins Gefängnis zu gehen. Aber hätte er die Existenz seiner Familie aufs Spiel gesetzt? Bei der Familie des Angeklagten Chris Moser hat die Polizei sogar schon die Fürsorge des Jugendamts vorbeigeschickt, um zu überprüfen, ob den Eltern die Kinder wegzunehmen sind. Beim VGT kontrolliert seit Beginn der polizeilichen Ermittlungen das Finanzamt bereits das dritte Mal (!) die Buchhaltung, ob man nicht irgendeine Steuersünde entdecken könnte. Im Moment geht es um die Frage, ob die Vereinsautos vielleicht auch privat ab und zu verwendet worden sind, ohne dass dafür extra Steuern bezahlt wurden.

Diejenigen, die diesen Prozess gegen uns losgetreten haben, scheinen sich auf das Finanzielle und Private zu konzentrieren. Dort orten sie die (einzige?) Möglichkeit, uns dauerhaft zu schädigen und andere potentielle AktivistInnen abzuschrecken. Muss man heutzutage, wenn man sich zivilgesellschaftlich engagiert, bereit sein, am Existenzminimum zu leben, nichts zu besitzen und keine Familie zu haben?

Im Verfahren gegen King saß ein Schwarzer, der von schwarzen Anwälten vertreten wurde, vor einem weißen Richter im rassistischen Süden der USA vor Gericht. Doch das Wunder geschah: es kam zu einem Freispruch! Selbst wenn es aber bei uns auch so ein Wunder geben sollte, bleibt das finanzielle Fiasko. Und überhaupt, soll man wirklich Wunder brauchen müssen, um halbwegs unbehelligt effektive politische Kampagnen führen zu können? So waren Demokratie und Menschenrechte von denjenigen, die für sie gekämpft haben, wohl nicht gedacht!

7 Gedanken zu “Privatkonkurs für Angeklagte

  1. ziemlich irre, diese angelegenheit. aus außensicht müssten die verantwortlichen in den behörden auf schadenersatz geklagt werden, wenn sie diese kampagne ohne stichhaltige verdachtsmomente initiert und ausgeführt haben und so sieht es im moment aus. verdacht auf staatsschädigendes verhalten usw.
    während balluch und co ein paar schweinderl besucht hat und ein paar schweinderl aufgescheucht hat, haben mehrwertsteuerkarusselbetreiber und cumex spezialisten den staat 100erte millionen gekostet.
    aus sicht des staatsbürgers: wie kann man nur so blöd sein, und in so einer sache derartige geschütze auffahren? nix zu tun und nix im kopf? der blinden raserei anheim gefallen? derartige rechtsstaatsvertreter sind nicht als solche zu benennen!

  2. Und trotzdem lassen sich die meisten Leute immer noch einreden, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben würden.

    Die Behörden haben hier eindeutig jegliche Verbindung zur Rechtsstaatlichkeit verloren und täglich werden weitere Schauderlichkeiten verbrochen.

    Fekter wagt es inzwischen sogar schon Militär für Wiens Innenstadt zu fordern: http://derstandard.at/1271378402676/OeVP-fordert-Militaerpolizisten-fuer-Wien

    Und die Mehrheit schweigt lässt das alles untätig geschehen.

  3. In meinem Vortrag in Lienz, Freitag, 28. Mai 2010, 19:30,
    »Überlegungen eines Germanisten zur „Lage der Nation“«,
    werde ich über diesen Tierschutz-Verfolgungs-Prozess sprechen. Hoffentlich vor großem Publikum (und vielen Spitzeln).
    SOLIDARITÄT mit den Angeklagten!

  4. In meinem Vortrag in Lienz, Freitag, 28. Mai 2010, 19:30,
    »Überlegungen eines Germanisten zur „Lage der Nation“«,
    werde ich über diesen Tierschutz-Verfolgungs-Prozess sprechen. Hoffentlich vor großem Publikum (und vielen Spitzeln).
    SOLIDARITÄT mit den Angeklagten!

  5. Stimmt schon, dass im Internet sehr viel über den Prozess zu finden ist. Aber man stößt eigentlich nur darauf, wenn man danach sucht. Der durchschnittliche ÖsterreicherIn liest Zeitungen, wie die Krone, die Kleine Zeitung oder andere Bundesländerzeitungen etc. Es sind leider nicht alle auf dem Niveau, dass sie von sich heraus im Internet nach den neuesten Standpunkten der Politik und Wirtschaft etc. suchen. Als ich ein Referat in der Schule über den Tierschutzprozess gehalten habe, haben die meisten vorher gar nicht gewusst, dass so ein Monsterprozess gegen TierschützerInnen läuft.. sowas find ich schon schlimm. Schließlich ist es ja der 1. Prozess in der 2. Republik, indem friedliche AktivistInnen bereits vor Prozessbeginn dermaßen verfolgt worden sind, und auch noch während dem langen Prozess noch weiterhin Ermittlungen gegen sie durchgeführt werden.
    Mehr Präsenz in Zeitungen, die auch viele Menschen lesen, und im Fernsehen wären sicherlich vorteilhaft!

  6. Mehr Medienpräsenz würde gewiss der ganzen Sache dienen.
    Wobei im Internet wirklich viel zu finden ist, an vielen Ecken regelmäßig Bericht erstattet wird und viele Leute das mit Anteilnahme beobachten. Auch in alternativen Radios habe ich Beiträge gehört.
    Was tatsächlich zu fehlen scheint, ist die “Mainstream”-Presse. Zumindest hier in Deutschland (ich könnte mir vorstellen, dass das in Österreich schon nochmal anders ist).
    Weitersagen, Leserbriefe und Emails an Zeitungen, Fernsehsender und Radios schreiben, um Berichterstattung bitten!

  7. Schrecklich, wie das österreichische Gericht hier vorgeht.

    Was sicherlich helfen würde, wäre eine höhere Medienpräsenz. Nur selten liest man in Zeitungen oder hört im Radio oder im Fernsehen über diesen Prozess und seinen tragischen Folgen. Nur viel zu wenige Menschen wissen überhaupt von diesem Prozess. All die unwissenden Menschen könnte man nur über die Medien erreichen. Wäre es nicht möglich, Einträge vom Blog oder andere Berichtserstattungen in Zeitungen zu veröffentlichen?? Wenn mehr Menschen davon erfahren, desto mehr werden spenden und für die Rechte von TierschützerInnen kämpfen!

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