28. März 2024

Tierethik: Antwort an Univ.-Prof. Konrad Paul Liessmann

Am 25. November 2014 fand im WUK in Wien eine Podiumsdiskussion über die Kernthesen meines neuen Buches „Der Hund und sein Philosoph“ statt. Liessmann erinnerten dabei die Geschichten von meinem Hund Kuksi und unsere Wildnisabenteuer an Karl May oder Jack London. Wie diese wären sie zwar unterhaltsam, aber lediglich romantisierend und anthropomorph entstellt. Eine Spielform menschlicher Kultur eben. Statt also den faktischen Gehalt, und damit die große Ähnlichkeit zwischen mir und meinem Hund, ernst zu nehmen, sah Liessmann in meinen Ausführungen erst wieder nur eine menschlich-anthropozentrische Sichtweise, vermutlich psychologisch erklärbar, wenn man nur die Geschichte meiner Sozialisation kennen würde. Dass die Höhepunkte menschlicher Kultur, wie z.B. Opernarien und Atombomben, praktisch keine Gemeinsamkeit mit den Ausdrucksformen bloßer Tiere hätten, sei offensichtlich. So habe ich Liessmann jedenfalls verstanden.

Bemerkenswert ist daran zunächst, was ich als Kulturchauvinismus bezeichnen würde. Hier ist nicht von „uns Menschen“, sondern von „uns EuropäerInnen“ die Rede. Von den tausenden menschlichen Kulturen, die untersucht wurden, hat lediglich eine Opernarien und Atombomben in ihrem Repertoire. Die Mbuti Pygmäen, die ich in meinem Buch erwähne, nutzen weder Steinwerkzeuge noch Feuer, haben aber eine reiche Kultur, die sie seit tausenden von Jahren in ihrem Urwald überleben lässt, ohne ihre Umwelt zu zerstören. Ich lasse mir von niemandem einreden, dass diese Menschen irgendwie primitiver oder kognitiv niveauloser wären, als „wir“. Im Gegenteil, sie haben ein Wissen und eine Weisheit, die ich in Europa in weiten Teilen vermisse. Auch Liessmann wird sicher nicht der Meinung sein, Mbuti Pygmäen bräuchte man keine Grundrechte zu geben und sie nicht als Personen zu betrachten.

Allein, wo ist der große Unterschied dann zu sogenannten „tierischen“ Kulturen, wie sie von Christophe Boesch für Schimpansen beschrieben werden? Diese Menschenaffen haben nicht nur materielle (Werkzeuge) und soziale (gemeinsame Verhaltensweisen) Kulturformen, sondern auch symbolische. Letztere umfassen Rituale, die an sich keinen evolutionären Sinn haben, aber gruppenintern verstanden werden und von Bedeutung sind. Dazu muss man bedenken, dass auf der ganzen Erde gerade einmal 25.000 Schimpansen frei leben, also so viele, wie es Menschen in St. Pölten gibt. Wieviele Opernarien und Atombomben wurden denn bisher in St. Pölten produziert? Wenn alle menschlichen Kulturleistungen auf jene beschränkt würden, die aus St. Pölten stammen, mit wievielen könnten wir dann unseren angeblich so großen Unterschied zu den Tieren unterstreichen?

Christophe Boeschs Forschungsergebnisse sind weder romantisierend noch anthropomorph. Sie sind knallharte Naturwissenschaft. Sie zeigen, dass Schimpansen gemeinsame Rituale pflegen, die sie selbst entwickelt haben. Schimpansen setzen sich also Zwecke, die ihr Handeln bestimmen. Sie sind autonome Wesen, die ihrer Gruppe soziale Regeln geben, mit denen sie sich selbst binden. Nun wüsste ich gerne, mit welchen Argumenten Liessmann solchen Wesen auf Kants kategorischem Imperativ basierende Grundrechte verweigern will!

Kant schrieb seine Metaphysik der Sitten zu einer Zeit, in der man von Evolution noch nichts wusste. Tierarten waren sozusagen von Gott fixiert, mit klar definierten Befähigungen, ohne kontinuierliche Übergänge. Nach Kant haben Wesen entweder eine volle Vernunft, mit der sie sich Zwecke selbst setzen können aber auch den kategorischen Imperativ befolgen, oder gar keine. Doch diese Ansicht muss heute revidiert werden. Diese Schimpansen haben offensichtlich eine gewisse Vernunft, sie setzen sich selbst Zwecke, auch wenn sie nicht so weit reflektieren, dass man sie als ausreichend schuldfähig einstufen kann, um vor Gericht gestellt zu werden. Doch das können Kinder auch nicht.

Wenn wir also akzeptieren, dass Vernunft graduell entsteht, sowohl evolutionär (phylogenetisch) als auch in der individuellen Entwicklung (ontogenetisch), dann gibt es Wesen, die eine gewisse Vernunft haben und sich in gewissem Rahmen selbst Zwecke setzen können, aber nicht ausreichend, um voll schuldfähig zu sein. Ihre Zwecke sind nach Kants Thesen dennoch zu respektieren, sie sind Zwecke an sich und nicht bloß Mittel zum Zweck für andere. Aber sie sind trotzdem nicht gerichtlich schuldfähig, wenn sie nicht in der Lage sind, selbst einen der kategorischen Imperative zu verstehen oder zu befolgen. So werden sie zu moralischen Objekten, d.h. zu RechtsträgerInnen, ohne als moralische Subjekte Pflichten zu haben.

2 Gedanken zu “Tierethik: Antwort an Univ.-Prof. Konrad Paul Liessmann

  1. Danke für deinen Einsatz Martin! Es ist wichtig, diese Diskussionen zu führen.
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    Vor über zweitausend haben sich Aristoteles (Liessmann) und Theophrastus (Balluch) um genau das selbe Thema gestritten. Beide gelten als die Pioniere der Zoologie und Botanik aber kamen zu verschiedenen Schlussfolgerungen.
    Aristotles kam von seiner Kluft zwischen Griechen und Barbaren, zwischen Männern und Frauen, zwischen Sklaven und Tieren nicht hinweg.
    Theophrastus argumentieren schon vor 2,300 Jahren dass es biologisch keinen Sinn macht, dass wir Menschen anders fühlen und denken sollen als Tiere. Theophrastus und später Plotinus argumentieren, dass mit Motorik automatisch auch Bewusstsein und Autonomie einhergehen und das Tieren ihre Leben deswegen genauso wichtig sind wie uns Menschen. Es gäbe einen Autonomie-Unterschied zwischen Pflanzen und Tieren aber nicht zwischen Tieren und Menschen. M.I.T. hat Plotinus Online zum nachlesen (leider nicht Theophrastus): http://classics.mit.edu/Plotinus/enneads.3.third.html
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    Inzwischen haben wir durch Mendel und Genetik genug Beweise, dass Epicurus und Darwin recht hatten bezüglich evolution by natural selection. Das stützt die biologischen Annahmen von Theophrastus und nicht Aristotles. Time to move on Herr Liessmann. Langfristig ist es besser, nicht nur ein berühmter, sondern auch ein guter Philosoph zu sein?

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