29. März 2024

Tierethik: Selbstbestimmung statt paternalistische Leidensvermeidung

Mit vielen Personen, mit denen ich über mein neues Buch „Der Hund und sein Philosoph“ diskutiert habe, meinten, ich wäre übers Ziel hinaus geschossen. Es sei doch gar nicht nötig, von Autonomie und Selbstbestimmung von Tieren zu sprechen. Es reiche doch, sich auf das Tierleid zu beziehen. Dieses sei offensichtlich und unbestreitbar, ja, mittlerweile sogar von einer internationalen Konferenz von NeurobiologInnen öffentlich anerkannt. Da könnte ich mir doch den Streit darüber, ob Kuksi jetzt denken und sich selbst Zwecke setzen kann oder nicht, ersparen. Sein Leid ist anerkannt und so kann man auf seinen Schutz pochen.

Als ich noch vor 20 Jahren an verschiedenen Universitäten über Tierversuche diskutierte, gab es tatsächlich noch honorige ProfessorInnen, die voller Überzeugung behaupteten, Ratten und Mäuse könnten absolut nichts subjektiv empfinden, sie hätten einfach kein Bewusstsein. Ihre schmerzanalogen Zuckungen seien nur reine Reizreaktionen, wie ein zuckender Froschschenkel, der, abgeschnitten, unter Strom gesetzt wird. Nur Nerven, kein Gefühl, das damit verbunden wäre. Und deshalb seien Tierversuche doch völlig legitim. Mittlerweile kann sich tatsächlich niemand mehr eine solche Meinung leisten, jedenfalls habe ich sie schon lange nicht mehr gehört. Heute gelten Tiere als fühlende Wesen. Tierschutz im Sinne von einer Reduktion ihres Leides auf ein angeblich notwendiges Minimum, ist akzeptiert.

Doch genau hier entsteht das neue Problem, die neue Hürde, die vor der Tierbefreiung liegt. Menschenrechte basieren auf dem Schutz der menschlichen Freiheit zur Selbstbestimmung. Das ist das entscheidende Kriterium. Leidensminimierung, gar noch auf ein notwendiges Minimum, kennen weder Menschenrechtsdeklaration noch Verfassung. Seit der Aufklärung gilt der Mensch – und zwar grundsätzlich jeder Mensch, egal in welchem Geisteszustand – als vernunftbegabt. Diese Vernunft der Aufklärung ist nicht messbar, z.B. durch einen Intelligenzquotienten. Sie wird dem Menschen einfach zugedacht, als Synonym für Freiheit und Selbstbestimmung. Mit seiner Vernunft überwindet der Mensch seine Einschränkung durch die Naturkräfte, die Vorgaben durch Instinkte und angelernte Reizreaktionen. Als selbstbestimmtes Wesen wird er zur Person. Er gibt sich subjektiv Werte und Ziele, er kann sich Zwecke setzen, mit denen er sich selbst bindet. Es steht niemandem zu, anderen Menschen darüber Vorschriften zu machen, solange ihre Zwecke nicht die Freiheit anderer Menschen einschränken. Zwang darf nur insoweit ausgeübt werden, als dass er dazu dient, Menschen davon abzuhalten, die Freiheit anderer zu bedrohen. Deshalb ist Sklaverei Unrecht, deshalb muss es eine Freiheit der Meinungsäußerung, der Weltanschauung, der Kunst, der Wissenschaft und der Versammlung geben. Der gesamte Schutz des Menschen ist auf seine Freiheit zur Selbstbestimmung zurückgeführt. Leid kommt dabei gar nicht vor.

Ganz anders bei den Tieren. Sie sind leidensfähig, ja, aber wenn sie sich nicht selbstbestimmen können, dann haben sie keine Fähigkeit zu einer Freiheit, die geschützt werden müsste. Als Spielbälle der Naturgesetze können sie genauso zu Spielbällen des Menschen werden, sie selbst würden dabei nichts verlieren. Es wäre nur darauf zu achten, dass sie nicht „unnötig“ leiden. Tiere werden so zu Sachen, zu Besitz. Das entscheidende Kriterium für eine Person ist die Selbstbestimmung, die Personenrechte schützen die Freiheit. Die Leidensfähigkeit spielt da keine Rolle.

Der klassische Tierschutz: Tiere seien fühlende Sachen, also Biomaschinen, von Instinkten und angelernten Reizreaktionen getrieben. Sie würden Eigentum des Menschen sein können, weil, wie Sachen, besäßen sie sich ja nicht selbst. Zum Besitz gehört die freie Verfügungsgewalt, die sie mangels Fähigkeit zur Freiheit nicht ausüben könnten. Also sei es Recht, wenn Tiere bloß Mittel für menschliche Zwecke sind, solange sie human genutzt werden. Es sei Aufgabe des Menschen, paternalistisch für sie zu sorgen. Er müsse dann schließlich besser wissen, was für sie gut ist und was nicht. Und der schmerzfreie, überraschende Tod wäre kein Schaden mehr, hier wird keiner Person ihre Entscheidungsfreiheit genommen.

Das Ganze hat nur einen Haken: Tiere haben die Freiheit, zu entscheiden. Sie können über sich selbst bestimmen. Sie haben die Fähigkeit zur Autonomie, die sie über Instinkte und angelernte Reizreaktionen hinaushebt. Und deshalb stehen ihnen Personenrechte zu. Und deshalb dürfen sie nicht als Mittel für menschliche Zwecke missbraucht werden.
Nur deshalb.

Der Weg zur Leidensminimierung ist eine Sackgasse.

2 Gedanken zu “Tierethik: Selbstbestimmung statt paternalistische Leidensvermeidung

  1. Klassischer Tierschutz gegen Tierrechte? Die Cambridge Declaration on Consciousness hat nicht hervorgebracht, dass alle Tiere körperlich leiden, sondern das wir alle ähnlich bewußt sind. Bewußt bedeutet autonom. Tiere leiden wenn man ihnen die Autonomie verweigert, und zwar viel viel mehr als durch körperlichen Schmerz. Es gibt sehr glückliche dreibeinige Hunde aber keinen einzigen Löwen, der nicht depressiv und verrückt wird in einer kleinen Zelle.
    Reden wir über Tierlied im Kontext der Autonomie und wollen diese Art des Leidens verhindern, ist das ok und am Stand der Wissenschaften. Beschränkt man sich bei dieser Diskussion auf physisches Leiden, so ist man nicht nur ein Tierschützer”, sondern blind und taub und äßerst dumm. So dumm, dass es schon nach absichtlicher Ignoranz riecht.
    Wenn man nicht innerhalb von 5 Minuten mit einem Tier verbringend mitkriegt, dass es am meisten durch Autonomieverlust leiden würde, so sollte man eigentlich keine 5 Minuten im Straßenverkehr überleben können. Nein, da stellen sich viele Menschen absichtlich dumm, um sich nicht mit ihrem Gewissen auseinandersetzen zu müssen?

  2. Ich bin eben zufällig auf deine Seite gestoßen.

    Es hat mich sehr berührt deine Worte zu lesen. Diese Weise ein Tier anders zu betrachten, als nur als “Tier” sondern als ein Lebewesen, ist unheimlich toll.

    Deine Mission dies den Menschen zu vermitteln, verdient viel mehr Beachtung und Unterstützung!

    Weiter so!

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