24. April 2024

Wie das Volk seinen Wald verlor

 

In der Steiermark und in Oberösterreich haben jetzt Jäger aus der ÖVP neue Jagdgesetze geschrieben und von den Landtagen absegnen lassen, die TierschützerInnen aus den Jagdgebieten fernhalten sollen. Elementen der Jägerschaft wird dabei gesetzlich erlaubt, TierschützerInnen festzunehmen und sie sogar über das Jagdgebiet hinaus zu diesem Zweck zu verfolgen. In Österreich gibt es einen riesengroßen Grundbesitz für die Jagd, der zum Großteil in den Händen alter Adelsfamilien und der Großindustrie ist. Wie kam es, dass der Wald der Allgemeinheit entzogen wurde und in den Besitz einzelner Personen überging, die darin zum Vergnügen Tiere töten wollen und dazu filmende TierschützerInnen per Gesetz vertreiben dürfen?

Ein neues Buch im Promediaverlag „Im Kampf um ihre Rechte“ gibt dazu Auskunft. Als die Völkerwanderung die BeamtInnen des Römischen Reichs aus dem Gebiet des heutigen Österreich vertrieb, blieb nur eine sehr geringe Bevölkerungsdichte übrig. Das Land war kaum bewohnt, der Wald für alle zugänglich. In mehreren Kolonialisierungswellen ab dem 6. Jahrhundert kamen Menschen aus dem Frankenreich, rodeten für ihre Parzellen den Urwald und bestellten den Boden. In dieser bis 1300 andauernden Zeitspanne sei der gesamte unbewohnte Wald noch allen zur freien Nutzung zur Verfügung gestanden. Erst als durch die über die Selbstversorgung hinausgehende Mehrproduktion ein Handel und damit Städte und Geldwirtschaft entstehen, wird dieses Nutzungsrecht des Waldes sukzessive eingeschränkt und gerät in die Hände lokaler Grundherren, des Adels. Auch die Landesherren, in Österreich die Herzöge und Grafen, entwickeln ein Interesse am Allgemeingut Wald, weil sie Söldnerheere brauchen und dafür Bergwerke und Salinen betreiben. Diese Änderung der Besitzverhältnisse im Frühkapitalismus führt zu den Bauernaufständen, die in Österreich von 1458-1626 andauern und allesamt niedergeschlagen werden.

Dem Frühkapitalismus folgt der absolutistische, zentral gelenkte Staat. Bald will dieser besonders finanzkräftige Großbetriebe fördern, um Geld für seine Kriege zu lukrieren. Die Industrialisierung führt zur völligen Beschlagnahme des Waldes als Energiequelle und Rohstoff, bis 1750 sind praktisch alle Urwälder Österreichs gerodet. Zur selben Zeit wird dem Landproletariat die freie Ortswahl gesetzlich gestattet, was dazu führt, dass der Kapitalismus das Feudalsystem ablöst. Nach  der Revolution 1848 kommt es zur Abgeltung des Grundes für die Kleinbauernhöfe, d.h. der Boden geht zwar in ihren Besitz über, er muss aber zu 1/3 den Grundherren bezahlt werden. Dafür wird die sogenannte „kleine Waldnutzung“ der herrschaftlichen Wälder, die bisher geduldet war, 1849 abgeschafft. Viele LandwirtInnen verarmen durch die folgende Verschuldung und müssen ihren Boden an die GroßgrundbesitzerInnen abgeben. Das neue Erbrechtsgesetz 1868, das den Boden zur kapitalistischen Ware macht, indem jede Parzelle frei ge- und verkauft werden kann, beschleunigt die Akkumulation von Wald durch einige GroßgrundbesitzerInnen, die sich riesige Jagdreviere schaffen. Nur der Ausverkauf des Wienerwaldes kann durch den Einsatz von Josef Schöffel, der dafür sogar mit Gefängnis bedroht wird, verhindert werden. 1883 schließlich ist der Großgrundbesitz an Wald zu 62% beim Adel, zu 21% bei der Großindustrie und zu 12% bei der Kirche. 41% der gesamten Fläche des Landes gehören lediglich 1% der GrundbesitzerInnen.

Nach Ansicht der Autoren des Buches „Im Kampf um ihre Rechte“ wäre nach dem 1. Weltkrieg die große Chance zu einer Bodenreform und einer Enteignung des Großgrundbesitzes gewesen. Doch in dem sich zuspitzenden Gegensatz zwischen Arbeiterbewegung, die eine Vergesellschaftung des Waldes wollte, und Großbürgertum, dem die Eigentumsverhältnisse heilig waren, gelang es letzterem letztendlich konservative und klerikale Kräfte in der christlich-sozialen Partei (Vorläuferin der ÖVP) zu vereinen, die Macht an sich zu reißen und eine Bodenreform zu verhindern. Am 3. März 1919 hatte sich die christlich-soziale Partei noch für eine Enteignung insbesondere der „Jagd- und Spekulationsgüter“ ausgesprochen, nach dem Wahlsieg im Oktober 1920 kam es aber zur völligen Kehrtwendung, die bis heute anhält.

Angesichts dieser Geschichte fehlt mir der Respekt vor dem Eigentumsrecht der GroßgrundbesitzerInnen an den bestehenden Waldflächen. Es dauerte bis 1975, bevor von der Regierung Kreisky mit dem neuen Bundesforstgesetz wenigstens ein Wegerecht „zur Erholung“ im Wald durchgesetzt werden konnte. Bis dahin durften die JägerInnen Wanderer abseits öffentlicher Wege – wie heute wieder in den neuen Jagdgesetzen bzgl. Treibjagdgebieten festgelegt – sogar abführen und arrestieren. Es gibt zahlreiche Berichte solcher Festnahmen in alten Bergbüchern, man war ständig auf der Hut vor der Jägerschaft. Jetzt wird dieses Wegerecht aber wieder erodiert. Man schafft künstlich jagdliche Sperrgebiete, riesige Wintergatter und sogenannte „Wildruhezonen“, die nur einem Grund dienen: den herrschaftlichen Anspruch auf den Wald, dessen Besuch eigentlich allen zustehen sollte, und insbesondere die ungestörte Jagd, zu sichern.

2 Gedanken zu “Wie das Volk seinen Wald verlor

  1. Ich moechte gar nicht in einem Wald sein, in dem geschossen wird, viel zu oft hoert man von Unfaellen, weil schiesswuetige Jaeger einfach wild drauf losballern. Viel lieber waer’s mir, waere das Jagen als Tierquaelerei verboten. Ich find mir schon einen Wald fuer Spaziergaenge.

    Das Jagen muss endlich aufhoeren! Man muss den Jaegern klarmachen, dass alle ihre Rechtfertigungen und Erklaerungen die Tatsache nicht aendern, dass Jagen schlicht und einfach nur Tierquaelerei zum Genuss des Jaegers ist, nicht mehr. Es muss endlich verboten werden. Sollen sie doch auf Tontauben schiessen! Von mir aus, koennen sie die Tontauben blutrot anmalen, wenn ihnen das was gibt. 🙁

    Der Mensch mit seinem Gewehr muss die Natur endlich in Frieden lassen. Zuviel hat er schon zerstoert.

    Karen

  2. Dieses neue/alte Jagdgesetz finde ich ehrlich gesagt ziemlich beängstigend und riskand. Ich halte es nämlich generell für ausgesprochen bedenklich Personen gesetzlich Befugnisse zu erteilen, die sie eigentlich nicht haben dürften (aufgrund mangelnder Kenntnisse, Fähigkeiten, Ausbildung etc). Vor allem wenn es darum geht, gegen eine andere Person körperlich vorzugehen. Das kann (ist ja auch schon) echt eskalieren! Vor allem dann, wenn sich die Gegner der Tierschützer auch noch vom Gesetz geschützt sehen. Ich halte diese neue Regelung wirklich für höchst problematisch!

    Unter dem Motto des Naturschutzes wird einem der Zugang zur Natur bzw. der Wald streitig gemacht (der Hund darf nicht rumlaufen, das Pferd darf nirgends draufsteigen etc.). Selbstverständlich ist ein verantwortungsvoller Umgang der Menschen mit Natur und Tieren notwendig und wichtig. Aber das erreicht man nicht, indem man die Menschen von der Natur separiert – das macht es eigentlich nur schlimmer. Aber mit vernünftigen Argumenten ist der Jagdlobby ohnehin nicht beizukommen.

Schreibe einen Kommentar zu Andrea Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert