28. März 2024

Wildniswanderung: wenn Kühe wild werden

Endlich haben mein Hundefreund Kuksi und ich wieder Zeit gefunden, in die Wildnis zu gehen. Was heißt Wildnis, wir waren 4 Tage in den Niederen Tauern in der Obersteiermark. Urwald gab es keinen, aber es ist durchaus auch heute noch möglich, 4 Tage lang in Österreich unterwegs zu sein, und weder eine Forststraße zu betreten, noch mehr als 3 Menschen zu treffen – und die nur am Anfang der Tour. Wir hörten zwar kein Wolfsrudel heulen und sahen keine Spuren von Bären – die hat man hier leider schon vor langer Zeit ausgerottet, aber wir begegneten Raben, Rehen, Gemsen, insgesamt 4 Schlangen (davon eine Kreuz- und eine Höllenotter) und einem Mäuschen auf 2300 m Seehöhe. Ja, und Kühen.

Letztere haben ein sehr harmloses Image. Sie stehen auf der Alm und käuen wieder, was sie im Laufe des Tages alles gegessen haben. Dabei schauen sie treuherzig mit ihren großen Glupschaugen und sind die zahmsten Wesen, die es gibt. Veganerinnen eben. Naja, außer sie stehen im hintersten Winkel eines Gebirges, in den sich kaum Menschen verirren, und sie sehen einen Hund.

Ich möchte hier auf keinen Fall die Opfer zu Täterinnen machen. Was die Menschen i.A. Kühen antun steht in keinem Verhältnis zu deren Aggression. Tatsächlich würde ich verstehen, wenn sie uns gegenüber wesentlich aggressiver wären. Aber nichtsdestotrotz hatte ich noch im Kopf, wie letztes Jahr eine Frau auf Wanderschaft zusammen mit drei Hunden von Kühen angegriffen und umgebracht worden ist, als Kuksi und ich jetzt wieder auf Kühe weitab von Wanderwegen stießen.

P1010395kleinKuksi ist im Umgang mit Kühen sehr geschickt, er hält sich da an mich. Zunächst versuchen wir beide sie völlig zu ignorieren. Kommen sie trotzdem her, dann gehen wir freundlich auf sie zu und sprechen sie an. Steigert das nur ihre Aggression, dann wollen wir sie durch lautes Bellen oder Schreien und Scheinangriffe auf Distanz halten. Kuksi ist darin so geschickt wie der beste Hirtenhund. Und wenn auch das nichts hilft, dann flüchten wir beide Hals über Kopf.

Das Problem dabei ist nur, dass die Kühe schneller sind als ich. Und 600 kg Lebendgewicht im vollen Galopp noch einmal zu stoppen ist gar nicht so einfach, weder für uns, noch für die Kühe selber. Übrigens sind auch manchmal einige Jungstiere darunter, regelrechte Heißsporne, die man nicht unterschätzen sollte.

Bei allen unseren Begegnungen ging es diesmal wieder gut, selbst in stockdunkler Nacht, obwohl da die Kühe aus Unsicherheit noch leichter angreifen. Doch einmal kamen wir über einen Hügel und standen plötzlich mitten unter ca. 50 Rindern, sowohl Kühen als auch Stieren. Sofort begannen sie, auf uns zu zu traben. Da es keine Möglichkeit gab, zu entkommen, lief Kuksi bellend auf sie hin und ich schwang schreiend meine Wanderstöcke durch die Luft, um sie zu vertreiben. Das rief aber noch weitere Kühe im Umkreis auf den Plan und in Kürze hatten sie uns eingekreist und eine rammte mich sogar mit ihrem Kopf. Da war guter Rat teuer. Kuksi und ich standen Rücken an Rücken, um uns ein Wald von Hörnern und lautes Gemuhe. In unserer Verzweiflung sprangen wir in einen Latschenbusch der Größe einer Scheibe mit 2 m Radius. Wir steckten zwischen den Zweigen, die gerade einmal 1,5 m hoch waren, eingekreist von einer immer aggressiver werdenden Meute. Bald begannen die Kühe heftig untereinander zu streiten, als ob sie das Vorrecht haben wollten, uns als erste zertrampeln zu dürfen.

Eine geschlagene Stunde standen wir in unserem winzigen Latschenfleck. Kuksi versuchte einmal auszubrechen, rannte kreuz und quer zwischen den Kuhbeinen durch, mir blieb fast das Herz stehen, und kehrte letztlich unversehrt aber auch unverrichteter Dinge zurück. Also mussten wir abwarten. Langsam wurde es dunkel. Die Kühe machten keine Anstalten das Interesse zu verlieren, sie hatten Zeit. Doch die Stimmung unter ihnen beruhigte sich. Ich redete freundlich auf sie ein.

P1010397kleinDann, ein Plan. Ich schlug Kuksi vor, er solle allein zurückbleiben und ich versuche mich ca. 50 m zu einem größeren Latschenfeld durchzuschlagen. Dann könnte er nachkommen und wir hätten die Chance, zwischen all diesen Latschenflecken und Bäumen hindurch zu entkommen. Gesagt getan, ich schritt an den Rand des Latschenbuschs. Ein Blick zurück auf Kuksi, er schaute mich vertrauensvoll an, blieb aber sitzen. Er hatte völlig verstanden, was meine Intention war. Ich sprach ihm noch Mut zu, sagte ihm, ich werde ihn ganz sicher nicht alleine lassen – und ging mitten durch die Kühe durch. Die reagierten zunächst überrascht und verwirrt, ich konnte rasch Boden gut machen. Nach ca. 20 m hatten sie sich aber gefangen und die Eifrigste begann mit gesenktem Kopf und langen spitzen Hörnern auf mich zu zu laufen. Nun drehte ich mich um, ging rückwärts, hob aber meine Stöcke und schlug der angreifenden Kuh insgesamt 5 Mal fest auf den Kopf. Als sie dadurch immer noch nicht abgeschreckt war, fuchtelte ich ihr mit den beiden Stöcken direkt vor den Augen herum, sodass sie diese schließen musste und mich nicht sehen konnte. Das nützte ich, um einen Haken zu schlagen und wieder einige Meter weiter zu kommen. Letztlich sprang ich in die ersten Latschenbüsche des nächsten Feldes und war gerettet. Nun die schwerste Aufgabe: wie konnte ich Kuksi da heraus bekommen?

Ich ließ mir Zeit. Etwa 5 Kühe belagerten meinen Busch, die restlichen waren zwischen mir und Kuksi verteilt, einige standen noch um Kuksis Latschenfleck herum. Ich wartete gut 10 Minuten, Kuksi bewegte sich nicht. Dann gab ich Kuksi das Signal zu laufen und griff gleichzeitig die Kühe vor mir an, sprang mit lautem Geschrei aus dem Gebüsch und schwang meine Stöcke, um die Tiere abzulenken. Im Augenwinkel sah ich, wie Kuksi auf einer Seite aus seinem Latschenfleck herauslaufen wollte, aber mitten auf eine Kuh traf und sofort wieder umkehrte. Nun versuchte er es auf der anderen Seite seines Busches, fand einen Meter Platz und schoss zwischen den Kühen durch. „Lauf!, lauf!“, schrie ich und lenkte die Kühe vor mir ab, bevor ich wieder in die Latschenbüsche sprang, in eine Gasse zwischen den Büschen tauchte und selbst davon lief. Kuksi war viel schneller als die Kühe und so gelang es ihm in einem großen Bogen selbst unversehrt in das Latschenfeld zu gelangen, soviel konnte ich noch wahrnehmen, dann sah ich nichts mehr außer Latschen und musste mich konzentrieren, nicht zu stürzen. Keine 30 m weiter kam Kuksi von der Seite in meine Latschengasse und wir liefen zusammen, so schnell ich konnte, weiter. Von Kühen war nichts mehr zu sehen, aber das hinderte mich nicht, weiter und weiter zu laufen, bis wir durch den schütteren Bergwald zum steileren Abhang kamen und mit voller Geschwindigkeit hinunterschossen. Nun waren wir gerettet.

Ich bin so stolz auf meinen Kuksi. Wie geschickt er vorgegangen ist, wie er genau wusste, was mein Plan war, wie er durch flinke Haken seine Verfolgerinnen abschütteln konnte. Unglaublich!

Am Abend saßen wir beinander, er seinen Kopf auf meinem Schoss. Was wir alles zusammen schon durchgemacht haben! Es mag gefährlich sein, aber so ist nun einmal das richtige Leben. Viel lieber wollen wir beide uns diesem Stress aussetzen, als gemeinsam auf einem Sofa vergammeln oder durch menschengemachte Parks schlurfen. Nein, vielen Dank. Da schlagen wir uns lieber mit wild gewordenen Kühen herum.

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4 Gedanken zu “Wildniswanderung: wenn Kühe wild werden

  1. Hmmm, also ich hatte genau dasselbe Erlebnis als ich einmal mit meinem Hund am Berg war. Die Kühe sahen uns aus der Ferne und kamen eindeutig mit der Intention auf meinen Hund loszugehen aufuns zugerannt. Uns blieb zum Glück aufgrund der Entfernung genug Fluchtweg in den Wald. Aber hallo mir ging wirklich ordentlich die Muffe. Mörder Angst hatte ich da und mein HUnd war einerseits doof genug die Kühe lautstark anzubellen, andererseits hatte er Mega Angst…
    Echt unheimlich. Mier schiens, als hätten Kühe echt keinen Bock auf Hunde..
    Beim Weitergehen sind wir dann weiter oben noch einer Herde begegnet, wobei ichs dann so machte, dass ich gradeaus weiterging als wäre ich Mr. Cool und mein Hund hat zirka nen gefühlten Usain Bolt Sprint in die andere Richtung gemacht und war somit auch ausser Gefahr, weil er viel schneller war als die Kühe…danach habe ich ihn dann gerufen und er kam von weit her von ich weiss nicht wo angerannt.
    Danach wusste ich das mit Hund Kühen zu begegnen definitiv hochriskant ist…Better don´t!!

  2. Das waren sicher beängstigende Situationen, aber ich musste beim Lesen und der damit einhergehenden Filmphantasie herzlich lachen. Danke dafür!

  3. Ich hatte auch ein seltsames Erlebnis mit Kühen. Fogendes ist deshalb erwähnenswert: bei einer Nachtwanderung von Schönenbach (Vlbg. Bregenzerwald) aus, Richtung Hoher Ifen, es war ca. 02:00 Uhr, der Mond schien warhrlich helle, traf ich auf der Alpe unter dem Ifengipfel auf eine Kuhherde. Nichts ahnend ging ich in langsamen Schrittes, eigentlich an den Kühen vorbei. Vor mir sah ich dann doch noch eine stehen die meinen Weg kreuzte. Als ich so ca. 3-4 Meter vor ihr wahr, fing sie an mich mit einem Fauchen, oder heißeren herausgestossenen Laut (vermutlich Angstschrei), abzuschrecken, was Ihr auch gelang. Bin fürchterlich erschrocken, und macht einen großen Bogen um die Kuh.

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