28. März 2024

„Wissen Hunde, dass sie Hunde sind?“ – von Kate Kitchenham, Kosmos

Für dieses Buch hat die Autorin 8 ausgewiesenen HundeexpertInnen jeweils 8 Fragen gestellt, darunter Kurt Kotrschal und Marc Bekoff. Die Einstellung dieser Personen zu Hunden variiert allerdings sehr. So billigt Alexandra Horowitz unfassbarer Weise Hunden nur eine „rudimentäre Form des Bewusstseins“ zu, meint, dass wenn sie Menschen retten das nur durch Zufall geschehe, und dass sie letztlich lediglich Strategien entwickeln, „um ihre tägliche Futtermenge zu verbessern“. Und das von einer Person, die jahrelang an Hunden forscht! Im Gegensatz dazu spricht Marc Bekoff von „seelischen Bewegungen“ beim Hund, die auch eine gewisse rationale Reflexionsfähigkeit zeigen, wie z.B. Trauer, Mitleid, Fairness und Liebe. Auch Gefühle von Scham, Schuld und Neid sind seiner Ansicht nach für Hunde nicht ausgeschlossen. Wichtig ist ihm, vom behavioristischen Zugang abzukommen, der so lange die Verhaltensforschung dominiert hat, wonach Tiere als Blackbox zu betrachten sind, die wie eine Maschine nur auf Reize reagieren.

Erfreulich auch die Antworten von Günther Bloch, der weder das Nackenschütteln noch den Kreuzwurf als Disziplinierungsmittel im Wolfsrudel je gesehen hat. Es gebe keinen Macho-Alphawolf, führt er aus, der andere dominiere. Dafür habe er im Banff Nationalpark in Kanada bereits 9 Mal dokumentieren können, dass Wölfe verletzte Individuen versorgt und sogar monatelang z.B. nach einem Unfall mit einem Zug gefüttert haben, auch wenn diese Tiere bereits erwachsen waren. Bemerkenswert auch seine Schilderungen von zwischenartlichen Freundschaften und Kooperationen, ob zwischen Eisbär und Polarfuchs, Koyote und Dachs oder eben Rabe und Wolf. Bei letzteren gebe es echte Langzeitbeziehungen, die Familien würden in enger Nachbarschaft leben, 80% der Jagdexkursionen werden zusammen unternommen, es gibt gemeinsame Spiele, Rituale und regelmäßig gemeinsames Essen.

Adam Miklosi schließlich spricht von Autonomie bei Hunden – das erste Mal, dass ich von jemandem anderen, als von mir, diesen Begriff in Zusammenhang mit Hunden verwendet finde. Miklosi wörtlich: Hunde, die ständig von ihren Menschen kontrolliert werden, haben größere Schwierigkeiten damit, eigenständig Lösungen für Probleme zu finden. Und anderswo: Das Problem ist, dass vielen Hunde nicht erlaubt wird, ihre Welt zu erleben, deshalb nehmen sie ihre Umgebung viel fragmentierter wahr. Sie verstehen dann vielleicht viel von dem, was in einem Agility-Parcours von ihnen verlangt wird, aber würden ohne ihren Menschen vor jedes Auto laufen. Wir haben in unseren Studien immer wieder beobachten können, dass Hunde, die nicht ständig unter Kontrolle des Menschen stehen, sehr viel besser darin sind, Probleme eigenständig zu lösen. Menschen neigen dazu, alles im Leben eines Hundes organisieren und kontrollieren zu wollen – wir gehen in Situationen und der Hund achtet nur auf uns, wir erlauben ihm genau, was er tun darf. So lernt er, immer leise zu sein und nur zu tun, was Menschen ihm gestatten. Hunde, die im ländlichen Bereich leben oder von Menschen erzogen werden, die ihnen mehr Freiheiten lassen, gewinnen einen anderen Blick auf die Umwelt. Sie agieren autonomer, machen viele Erfahrungen – und lernen dadurch verschiedene Strategien zu entwickeln, um Ziele zu erreichen.

Bei Spaziergängen mit meinem Hundefreund in der Stadt sind 99% der Hunde, die uns begegnen, nicht nur angeleint, sondern müssen im 1 m – Abstand zu ihren Bezugsmenschen gehen. Und wenn sie uns ohne Leine auf sie zukommen sehen, gibt’s ein Gekreisch, man wechselt panikartig die Straßenseite und reißt an der Leine und brüllt. Dabei hat mein Hundefreund noch nie mit einem anderen Hund gekämpft, selbst wenn sie sich anbellen sollten. Ich plädiere mit Miklosi: lasst Euren Hunden mehr Freiheiten, lasst sie eigenständig die Welt erleben, lasst sie selbst Erfahrungen machen, dann werden sie zu autonomen, selbständigen Wesen, die stressfrei die Probleme meistern, die sich ihnen im Leben stellen!

Günther Bloch empfiehlt in diesem Buch, Hundekinder wie Menschenkinder zu erziehen. Und die Autorin schreibt im Vorwort: Wir sollten unseren Hund im Leben viel erleben und möglichst viel an unserem Alltag teilhaben lassen, er soll mit Kumpels über Wiesen toben und streiten dürfen, dem Nachbarshund hin und wieder einen Knochen klauen können, mit uns spielen und zusammenarbeiten als Team. Ohne ständige Kontrolle durch Befehle und Leckerlis!

3 Gedanken zu “„Wissen Hunde, dass sie Hunde sind?“ – von Kate Kitchenham, Kosmos

  1. Hunde retten nicht zufällig jemanden. Als mein Onkel noch ein Kind war, ging er mit seinen Freunden immer imTeich baden. Ein großer Hund war zum Leidwesen der Kinder oft dabei. Sobald sie im Wasser waren, “rettete” er sie, indem er sie an Land zog. 🙂

    ….

    In Wien gibt es oft Hunde die ohne Leine und ohne Beißkorb herumlaufen dürfen. Man darf sich nur nicht von der Polizei erwischen lassen, denn das kostet mindestens 21,–€. Im Wiederholungsfall wird es noch teurer, wenn man Pech hat, verlangen übereifrige Polizisten sogar gleich mehr. ….”Auch wenn die Gesetzeslage zur Leinen-oder Beißkorbpflicht klar ist – bei diesem Fall schoss eine junge Polizistin eindeutig übers Ziel hinaus: Helene S. (75) war mit ihrem kleinen Hund im Prater unterwegs. Ohne Leine oder Beißkorb, außerdem soll der Vierbeiner bei einem Baum sogar sein Bein gehoben haben.

    Das sah das wachsame Auge des Gesetzes – und schritt sofort ein: Aber statt es bei einer Abmahnung zu belassen, stellte die Polizistin eine Strafverfügung über saftige 750 Euro aus.” http://www.heute.at/news/oesterreich/wien/art23652,700895 Das ist kein Einzelfall. Eigentlich sollten Tiere artgerecht gehalten werden. Ständig Leine oder Beißkorb tragen ist nicht artgerecht. Aber erzähl das einem Politiker.

  2. Wenn die “eigenen Erfahrungen” so aussehen, dass mein Hund an der nächsten Straße (zum Beispiel die sechsspurige vor meiner Tür) vor den Bus läuft, dann habe ich lieber einen etwas weniger autonomen Hund. Und es gibt Situationen, in denen er einfach nicht von der Leine darf, zum Beispiel, wenn er sich zuvor nicht benommen hat. Oder wenn ein anderer Hund an der Leine kommt, denn auch dafür kann es gute Gründe geben: Krankheit, Aggression oder einfach, dass das jeweilige Herrchen/Frauchen es gerade eilig hat. Dann rufe ich meinen Hund zurück und lasse ihn bei mir gehen. Das sollte zum normalen Verhalten für einen Hundebesitzer werden. Und das bedeutet nicht, dass mein Hund nicht frei laufen darf und seine Umgebung nicht kennen lernen soll, aber ich muss mich darauf verlassen können, dass er auf mein Kommando bei mir ist und bleibt. Gerade, wenn er leider in der Stadt leben muss.

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