26. April 2024

Tierschutzgesetze sind nun einmal irrational: politischer Pragmatismus ist gefragt!

Im Tierschutz wird man zumeist nicht deshalb aktiv, weil man ein politisch besonders interessierter Mensch ist. Zwar schließen sich Tierschutz- und Politikinteresse natürlich nicht aus, aber der Einsatz für die Besserstellung der Tiere ist zumeist ursprünglich durch Mitgefühl motiviert. Deshalb mangelt es weitgehend an politischer Schlauheit, wenn sich TierschützerInnen engagieren. Man wählt nicht ein machbares Ziel, sondern eines, das einen am meisten aufregt. Man verfolgt nicht eine pragmatische Taktik, sondern besteht auf den Idealen. So haben aber die politischen GegnerInnen ein leichtes Spiel. Diesen fällt es nämlich gar nicht schwer, im Brustton der Überzeugung komplett andere Meinungen zu vertreten, je nachdem, mit welcher man gerade politisch am weitesten dem eigenen, in der Öffentlichkeit oft verschwiegenen Ziel näher kommt. Wir sollten uns ein Beispiel nehmen.

Es ist verboten, Hunde für die Fleischerzeugung zu töten, bei Schweinen ist es ok.
Es ist verboten, Büffel im Zirkus zu verwenden, Kamele sind aber kein Problem.
Es ist verboten, Kaninchen zur Pelzproduktion zu halten, nicht aber zur Fleischproduktion.
Es ist verboten, aus Nerzen Felle herzustellen, aber aus Kälbern darf man das jederzeit.
Es ist verboten, an Menschenaffen jegliche Art von Tierversuch durchzuführen, Tieraffen dagegen sind „fair game“.
Wen das verblüfft, der/die war noch nie in die Entstehung von Gesetzen einbezogen. Das geschieht nämlich niemals aufgrund von ehrlichen Überzeugungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Alle Tiere betreffende Gesetze, wie Tierschutz, Tierversuche, Tiertransporte, Verfassungsbestimmung usw., sind das Ergebnis eines politischen Konflikts. Eine Waffe in diesem Konflikt sind sicher wissenschaftliche Fakten, aber das Ergebnis ist durch die Machtverhältnisse, durch kulturell tradierte Werte, durch wirtschaftliche Faktoren und durch die Geschichte bestimmt.

Als wir 2002 für ein – genaugenommen das weltweit erste – Verbot von Wildtieren in Zirkussen kämpften, wurde uns von einigen TierschützerInnen erklärt, dass das ein Verrat an den Pferden und Hunden sei. Es war die Gegenseite, die in diese Kritik einstimmte und meinte, Zebras und Pferde seien im Grunde gleich und man könne doch nicht die Nutzung von Zebras verbieten, aber jene von Pferden erlauben, deshalb müssten alle Tiere weiter dem Zirkus zur Verfügung stehen. Wir aber blieben pragmatisch und Wildtiere wurden im Zirkus verboten. Die englische Tierschutzorganisation CAPS konnte sich zu diesem Pragmatismus nicht durchringen und so blieben dort alle Tiere im Zirkus erlaubt. Die Zeit ist noch nicht reif für ein vollständiges Tierverbot im Zirkus. Wie erkläre ich das den Elefanten, die weiterhin mit Gewalt dressiert werden, dass sie warten müssen, bis die Gesellschaft so weit ist, auch Pferde im Zirkus zu schützen, bevor man ihnen helfen kann?

Bei Pelz und Leder spielen sich dieselben Diskussionen ab. TierschützerInnen meinen, ihr Ideal verbietet hier eine Unterscheidung zu treffen. Die Pelzindustrie, ohne moralische Skrupel, ist sofort zur Stelle und erklärt Leder zu Pelz ohne Haaren. Klingt überzeugend. Also warum dann keinen Pelz kaufen, wenn ich Leder trage? Wieso ein Handelsverbot für Pelz, aber keines für Leder? 1998 blieben wir pragmatisch und konnten das weltweit erste Pelzfarmverbot durchsetzen, obwohl Leder weiterhin unverändert hergestellt werden darf. Die Geschichte der österreichischen Tierschutzgesetzgebung ist ein Siegeszug des politischen Pragmatismus.

Momentan gibt es nun dieselben Diskussionen zur Jagd und zu Tierversuchen. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist für ein Verbot der Jagd auf Zuchttiere und für ein Verbot von Tierversuchen an Primaten, Hunden und Katzen. TierschützerInnen sind irritiert: Leidet ein Zuchtfasan mehr als ein wilder? Sind Mäuse nicht genauso schützenswert wie Hunde? Bemerkenswert finde ich dabei auch, dass die ProtagonistInnen dieser Kritik am Pragmatismus jeweils ihr eigenes Steckenpferd reiten. Die einen finden ein Wildtierverbot im Zirkus völlig ok, aber nur nicht Primaten und Mäuse im Tierversuch verschieden behandeln. Die anderen halten Diskussionen mit FreilandhalterInnen von Nutztieren für sehr sinnvoll, würden aber nie mit ÖkojägerInnen sprechen, obwohl Letztere gegen die Auswüchse der Jagd ideale KoalitionspartnerInnen wären.

Politik und Ethik sind verschiedene Paar Schuh. Als TierschützerInnen sind wir die Gewerkschaft der Nutz- und Versuchstiere, wir sind die Anwaltschaft der Wild- und Haustiere. Unsere Aufgabe ist es, für unsere KlientInnen möglichst viel heraus zu holen. Können wir Primaten im Versuchslabor ins Gesicht schauen und erklären, dass wir sie zwar retten könnten, aber solange nicht gleichzeitig alle Versuche an Mäusen enden, stünden wir dafür nicht zur Verfügung? Können wir den Zuchttieren im Gatter und in den Fasanerien mitteilen, dass sie zwar befreit werden könnten, dass wir dafür aber Koalitionen eingehen müssten, die unserem Ideal widersprechen, und deshalb müssen sie eben warten? Das nenne ich eine Gewerkschaft und eine Anwaltschaft, die in ihrer Funktion völlig versagt!

Utopien haben eine wichtige Rolle als Wegweiser und als Motivation, uns zu engagieren. Aber sie dürfen nicht dazu führen, dass wir uns in irreale Vorstellungen verrennen. Wir brauchen handfeste Fortschritte hier und jetzt. Wir brauchen breite politische Koalitionen mit allen, die mit uns denselben Wunsch nach einem nächsten Schritt im Tierschutz teilen. Wir müssen unsere politische Naivität ablegen und einen ergebnisorientierten Pragmatismus aneignen. Sonst kommen wir die nächsten 100 Jahre weiterhin kaum vom Fleck!

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